Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
V wie Viktor

V wie Viktor

Titel: V wie Viktor
Autoren: A Schwarz
Vom Netzwerk:
schneller als er und zweitens stärker. Und ich begann, mich zu wehren. Anfangs, indem ich fortlief, später, indem ich einfach seine Arme festhielt, was ihn in wahre Raserei versetzte. Dann ließ er seine Wut an ihr aus, wenn ich nicht dabei war und ich konnte nichts dagegen tun. Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Nachdem er morgens aufs Feld gegangen war, packte ich ein paar Sachen zusammen, küsste meine weinende Mama und machte mich aus dem Staub. Ich habe sie nie wiedergesehen.«
    Er schluckte hart, brauchte ein paar Sekunden, ehe er weiter sprechen konnte.
    »Ich marschierte solange, bis mein ganzer Proviant verbraucht war. Da ich kein Geld hatte, musste ich mich auf die Suche nach Arbeit machen. Ich war jung, gesund, kräftig und ich konnte ackern bis zum Umfallen. Der nächste Bauer, bei dem ich anklopfte, nahm mich mit Kusshand auf. Er ließ mich wirklich schuften, aber das war mir egal. Tagsüber lenkte es mich von den Gedanken an meine Mutter ab und abends war ich so müde, dass ich in Sekundenschnelle eingeschlafen war. So vergingen einige Tage, bis mir die älteste Tochter des Bauern das erste Mal über den Weg lief. Sicher hatte ich vorher schon Mädchen gesehen, aber sie raubte mir den Atem. Ich war sofort unsterblich in sie verliebt! Katja war ein klein wenig älter, für mich schon eine richtige Frau — und sie war ein anständiges Mädchen und zeigte mir zuerst die kalte Schulter. Aber nach und nach hatte meine Hartnäckigkeit Erfolg und sie erhörte mein Flehen. Wir trafen uns heimlich nachts am Fluss unter einer großen, alten Eiche. Das war unser Versteck vor ihrem Vater, der mich wahrscheinlich windelweich geprügelt hätte, hätte er davon gewusst. Meine Katinka war eine sanfte, weiche Schönheit, aber in ihrem Inneren schlummerte ein Vulkan, den ich nun geweckt hatte. Ich war ihr hoffnungslos verfallen. Wenn sie für mich ihre Haare löste, die Locken über ihre Schultern fielen und dieses Strahlen in Augen trat, wäre ich am liebsten gestorben vor Glück. Das hätte ewig so weitergehen können.
    Aber eines Nachts, als wir gerade wieder mitten im Liebesspiel waren, wurden wir gestört. Ich lag auf dem Rücken, hatte die Augen geschlossen, mich ganz meiner Lust hingegeben, als sie abrupt stoppte. Ich öffnete die Augen und konnte nicht glauben, was ich sah.
    Sie saß immer noch auf mir, ihr Körper ganz gestreckt und bewegungslos, den Kopf zur Seite gebogen. Und ER beugte sich über sie. Hielt ihren Kopf fest in seinen Händen, bohrte ihr seine langen, spitzen Zähne mit aller Kraft in den Hals und saugte sich an ihr fest. Ich war wie gelähmt, keiner meiner Muskeln gehorchte mir, ich konnte nur tatenlos zusehen. Sie seufzte auf, begann sich wieder zu bewegen. Das Saugen setzte sich durch ihren ganzen Körper fort. Ich konnte nicht fassen, was da passierte.
    ER ließ nicht von ihr ab, Katja stöhnte nun laut. Mit geschlossenen Augen und einem völlig verzückten Gesichtsausdruck trieb sie uns beide immer weiter. Das Adrenalin, das ungebremst durch meine Adern schoss, puschte mich noch ein Stück höher. Wir kamen fast gleichzeitig, wild unsere Lust herausschreiend, in einer nie gekannten Heftigkeit. ER richtete sich auf, leckte sich das Blut von den Lippen und drehte sich zu mir um und sah mich an. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Solche Augen hatte ich nie zuvor gesehen. Ein grell leuchtendes, tiefes Blau, das in der Dunkelheit glühte.
    Meine Geliebte brach über mir zusammen, fiel halb tot auf die Seite. Ich wollte mich um sie kümmern, ihr helfen, aber ich konnte meinen Blick nicht von seinem lösen. ER lächelte mich erfreut an und sagte: »Was haben wir denn da? Das sieht mir doch ganz nach vielversprechendem Nachwuchs aus. Komm mein Junge, komm mit mir. Du wirst es nicht bereuen.«
    Diesen Satz kann ich heute noch in meinen Ohren hören. Noch in der gleichen Nacht hat er mich zu seinesgleichen gemacht, mir alles genommen, mein Leben, meine Liebe, meine Zukunft, die Sonne, den Tag, die Menschen. Und ich hasse ihn seither jede einzelne Sekunde dafür. Seit 284 Jahren.«
    Ein angespanntes Schweigen lag im Raum. Selbst die Stimme in meinem Kopf war fassungslos verstummt. Er räusperte sich, streichelte sanft meine Arme.
    »Du bist also 284 Jahre???«
    »Ja. Aber für meine Art ist das kein Alter, ich kann noch sehr lange leben.«
    »Das ist …«
    Mir fehlten die Worte. Das Ganze klang, als hätte er aus einem dieser Groschen-Horror-Romane vorgelesen.
    »Was ist mit deiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher