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Urmel aus dem Eis

Urmel aus dem Eis

Titel: Urmel aus dem Eis
Autoren: Max Kruse
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hinweg, und der Mond geht auf und unter und tschieht über mich hinweg, und ich... und ich... ach, es ist eigentlich doch sehr langweilig, so allein!“
    Wo mochte Ping Pinguin wohl hingegangen sein? Ob er sehr gekränkt war? Eigentlich könnte er den obdachlos Gewordenen doch einladen, gemeinsam mit ihm in der Muschel nachzudenken. Er zwängte seine Schnauze zwischen die Schalen und äugte hinaus, nach rechts und nach links — aber Ping Pinguin war nirgends zu entdecken. Der Strand dehnte sich still und leblos. In Wawas Herz zog das Gefühl unendlicher Verlassenheit ein.
    Er schlüpfte aus seinem Gehäuse. Klapp! schlug die Muschel hinter ihm zu. Wawa wieselte über den Strand. Er wollte „Ping Pinguin!“ rufen, aber seine Stimme war nicht so kräftig, es kam immer nur ein Zischen heraus. „Zisch Zischuin!“... Niemand gab Antwort. Das Meer rauschte gleichmäßig, und die Insel lag unter der glühenden Sonne in bleierner Erstarrung. Manchmal klangen Bruchstücke von Seele-Fants Lied zu ihm herüber, vermischt mit einem seltsam krächzenden Beiklang — Wawa beachtete es nicht. Immer eifriger suchte er. Zweimal lief er den Strand hin und zurück — und schließlich erklomm er den Berg.
    Zwar waren oben alle friedlich und heiter, aber von Ping Pinguin fehlte auch hier jede Spur. Der Professor saß über seinen Schreibtisch gebeugt, die Feder kratzte emsig über das Papier. Wawa ertrug dieses Geräusch nicht, es zog ihm die Haut über der Wirbelsäule zusammen. Tim Tintenklecks war nicht zu sehen. Vermutlich schaukelte er in einem Baumwipfel und plauderte gemütlich mit Schusch. Aus des Urmels neuem Kinderzimmer klang Wutz’ gemütliches Grunzen. Neugierig erklomm Wawa die Wand und duckte sich aufs Fensterbrett. In der Dämmerung des Raumes lag das Urmel zusammengerollt auf einer Matratze. Wutz hockte im Schaukelstuhl und erzählte das „Märchen vom armen Schwein, das keine Kinder hatte“. Das Urmel lauschte, zufrieden schnaufend, mit halbgeschlossenen Augen.
    „Es war einmal ein armes Schwein mit Namen öfföff“, sprach Wutz. „Das war ganz allein und hatte niemanden auf der Erde. Öfföff war wunderschön, ihre Haut war wie feinstes Marzipan — öff! —, sie hatte die verträumten Augen einer Prinzessin und das reizendste Ringelschwänzchen der Welt — öff! Aber sie war sehr unglücklich, weil sie sich so sehr ein Kind wünschte und keines bekam.“

    „Warum betam sie denn tein Tind, war sie nich brav?“ fragte das Urmel.
    „Sei still!“ grunzte Wutz. „Eines Tages ging Öfföff in den finsteren Wald, um dort zu sterben. So traurig war sie — öff! Plötzlich aber sah sie ein Ei im Moos liegen. Und da sie großen Hunger hatte, wollte sie das Ei aufbrechen und ausschlürfen…“
    „Das is aba tomlich!“ maunzte das Urmel. „Warum ißt sie denn noch, wenn sie doch sterben will?“
    „Du sollst ruhig sein!“ rief Wutz ungehalten. Dann fuhr sie fort: „Als sich Öfföff nun dem Ei näherte, hörte sie die feine Stimme der Schweinefee — öff! —, die unsichtbar in einem Heckenrosenbusch stand. Die Fee quiekte mit ihrer silberhellen Stimme — öff!: ,Nimm das Ei mit nach Hause und brüte es aus.’ Natürlich wunderte sich das arme Schwein darüber, aber es tat, wie ihm geheißen ward. Öfföff nahm das Ei mit in ihr Haus und legte sich darauf, um es auszubrüten.“
    „Haha!“ lachte das Urmel. „Da tnackste das Ei aba entzwei!“
    „Dummes Kind!“ schnaufte Wutz. „Warum sollte Öfföff das Ei denn kaputtmachen?“
    Wawa glitt von der Fensterbank. Er wußte schon ungefähr, wie die Geschichte des armen Schweines weiterging. Und er fand sie nicht so interessant. Desto größer war seine Sehnsucht nach einem vernünftigen Gespräch. Er machte sich erneut auf die Suche, denn irgendwo mußte Ping Pinguin ja stecken. Wawa huschte durch den Wald, kletterte über Wurzeln und raschelte unter Farnkräutern hindurch. So gelangte er in eine Gegend der Insel, die er bisher noch nie betreten hatte. So weit war er um den Berg Homi herumgewandert.
    Plötzlich hörte er mit seinen scharfen Ohren eine leise, seltsame Musik, die aus dem Inneren des Berges zu kommen schien. Es klang wie Windesrauschen — oder wie der Schall von Tausenden und aber Tausenden von Flöten. Wawa hob den Kopf und lauschte. Neugierig huschte er näher — da öffnete sich plötzlich vor ihm ein Höhlenschlund, ein dunkler Gang, der tief, tief ins Berginnere führte. Wo mochte er enden?
    Wawa schlängelte sich hinein.
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