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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
Autoren: Bree Despain
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Welt weiß gestrichen. Eine riesige leere Leinwand.
    Dann sah ich ihn. Ein großer Wolf, der im Schatten des Walnussbaums fast schwarz aussah. Er starrte direkt herauf zu meinem Fenster.
    »Daniel?«, keuchte ich, obwohl ich wusste, dass es nicht sein konnte. Ich zog die Jalousien hoch, aber der Wolf war bereits verschwunden.
    Ich musste wieder eingeschlafen sein, denn ein paar Stunden später wachte ich durch die Schreie meiner Mutter auf.
    Dad und ich konnten sie schließlich soweit beruhigen, dass sie uns mitteilte, was geschehen war; dass Jude in der Nacht gegangen war und nur das Fläschchen mit seinen Beruhigungsmitteln und einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen hatte.
    Ich kann nicht bleiben. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich muss gehen.
    Doch ich wusste, dass Jude uns schon verlassen hatte, lange bevor er weggelaufen war.
     
    Als ich aus dem Haus schlüpfte, war Mom praktisch in einem psychotischen Zustand und wiegte James ausdruckslos in ihren Armen. Ich wusste, wo ich hingehen musste, und war froh, dass sie mich nicht daran hinderte. Ich fuhr kilometerweit über die frisch geräumten Straßen und parkte den Wagen schließlich etwas abseits von meinem Ziel.
    Ich stapfte hinüber zu dem offenen Tor. Ein Mann,dessen rotes Haar von silbernen Strähnen durchzogen war, grüßte mich, als ich an ihm vorbeiging. »Wie schön, dass an einem solchen Tag Besucher kommen.«
    Ich versuchte zu lächeln und erwiderte seine guten Wünsche für das Neue Jahr.
    Ein schmaler Pfad war entlang der Wege freigeschaufelt worden, doch ich ging lieber durch den Schnee. Ich ließ meine Füße in die eisige Kälte sinken und hinterließ meine Spuren in dem perfekten Weiß. Ich hielt meinen Mantel über dem Holzkästchen geschlossen und schützte es vor dem Schneetreiben und dem kalten Wind. Dann setzte ich mich auf eine Steinbank in der Gedenkstätte und nahm das Buch der Briefe aus dem Kästchen. Ich öffnete es an der letzten markierten Stelle und las den Brief noch einmal.
     
    An Simon Saint-Moon,
    ich habe diese versiegelten und an Eure Gemahlin gerichteten Briefe nach dem Verschwinden ihres Bruders unter seinen Habseligkeiten gefunden. Ich habe sie während der letzten zwei Jahre bei mir getragen, in der Hoffnung, sie Katherine persönlich geben zu können.
    Die Nachricht von ihrem Tod stimmt mich traurig. Es ist eine Tragödie, daß Euer junger Sohn nun ohne Mutter aufwachsen muß. Ich schätze, daß es eigenartig für einen Wolf ist, so weit in ein Dorf vorzudringen, doch auch in anderen dichtbevölkerten Städten wie Amiens in Burgund und seltsamerweise auch Venedig hat es Angriffe gegeben. Leider werden wohl all die Städte, welche Männer für
unsere vom Pech verfolgten Feldzüge entsandt haben, nun von diesen schrecklichen Todesfällen heimgesucht. Vielleicht straft uns Gott für unsere Sünden, wo es dem Papst nicht gelingt, die Drohung seiner Exkommunizierung wahr zu machen.
    Ich weiß nicht, was diese Briefe beinhalten. Aus Respekt habe ich sie ungeöffnet belassen. Gleichwohl muß ich Euch warnen – Eurer Schwager hat den Verstand verloren, bevor ihn die Wälder verschlangen. Seine Briefe mögen wohl den Zustand seines kranken Geists widerspiegeln.
    Der Dolch wurde bei seinen Briefen gefunden. Er ist ein wertvolles Relikt. Vielleicht kann der junge Doni ihn erben, wenn er einst erwachsen ist. Er sollte etwas besitzen, was ihn an seinen Onkel erinnert. Bruder Gabriel war ein guter Mensch. Er war einer der wenigen, die Vernunft vor den Blutrausch stellten – bis der Irrsinn ihn übermannte.
    Es grüßt Euch,
    Bruder Jonathan de Paign
    Tempelritter
     
    Ich schloss das Buch und presste es an meine Brust. Katharine wusste nicht, was sie getötet hatte. Sie hatte keine Ahnung, dass es ihr geliebter Bruder war. Ich trat auf die Statue zu, die hier direkt vor mir stand. Es war der große Engel mit dem Wolf zwischen den Falten seines Gewands. Ich wischte den Schnee vom Kopf des Wolfs und den Flügeln des Engels.
    »Du warst das also«, sagte ich zu dem Engel. Er war derMann, der Daniel geholfen hatte, der ihm das Halsband mit dem Mondstein gegeben und den Ring für Jude geschickt hatte. »Du hast diese Briefe geschrieben. Du bist Bruder Gabriel.« Ich blickte zu seinen Augen empor, fast als ob ich eine Antwort erwartete.
    Nach all diesen Jahrhunderten war Bruder Gabriel noch am Leben.
    Hätte Daniel genauso lange gelebt, wenn nichts von alldem hier geschehen wäre?
    Ich hatte das Gefühl, alles verloren zu
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