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Unternehmen Wahnsinn

Unternehmen Wahnsinn

Titel: Unternehmen Wahnsinn
Autoren: Theresia Volk
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kollektive Optimismuspflicht beim allgemeinen Fressen und Gefressenwerden. Ein angemessenerer Ausdruck für dieses Zuviel von allem – zu viel Spaßgeschrei, zu viel Schlachtgebrüll – könnte lauten: fressen und kotzen. Wobei das Ende einer bulimischen Erkrankung nicht mehr »smile or die« heißt, sondern: »smile and die«.
    5 In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 7. Juni 2010.
    6 Barbara Ehrenreich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Kunstmann 2010.

Symptom 2: Was zusammengehört, trennt sich
    Es treten auf: der Loslösungsvirus, einige Nicht-Zusammenhänge und die gefühlte Wirkungslosigkeit
    Wenn es ein Ur-Symptom für den Wahnsinn gibt, dann dieses: Was sinngemäß(!) zusammengehört, ist getrennt. Schon seit Längerem besonders gut, weil dies öffentlich zu beobachten ist im Bereich des Marketings, der Werbung. Es lässt sich feststellen, dass sich die Werbeaussagen beinahe völlig vom Produkt emanzipiert haben. Die Aussagen sind produktunabhängig geworden. Ein Claim, ein Sound, eine Filmsequenz oder ein Text aus dem Off könnten ein Shampoo ebenso gut meinen wie eine Versicherung oder eine Lotterie. Die stofflichen Eigenheiten eines Produkts sind offenbar ohne werbliche Bedeutung, wichtig sind allein die symbolischen Eigenschaften, die sich transportieren lassen: Gefühle, ein gewisser Lebensstil, Wichtigkeit, Sinn. Ein Autobauer preist sein neues Modell mit der Parole an: »Je ne suis pas une voiture«, ich bin kein Auto. Ein Ölkonzern behauptet, er befinde sich »beyond petroleum«, also jenseits, in einem neuen, gerade entdeckten Sinnuniversum?
    Faszinierender- und beängstigenderweise hat diese ursprünglich marketingspezifische Unabhängigkeitsbewegung mittlerweile auf das Unternehmensganze übergegriffen: Unternehmen selber lösen sich von dem, was sie herstellen. Viele Firmen der sogenannten Realwirtschaft tun zwar immer noch so, als versuchten sie, Geld mit ihren Produkten zu verdienen. Tatsächlich geht es ihnen aber darum, eine bestimmte Rendite auf ihr Eigenkapital zu erzielen. Und die kann man auch anders erzielen als dadurch, ganz spezielle Unterhosen, Autos oder Sitzmöbel herzustellen und unter die Leute zu bringen.
    In diesem Kontext leicht bizarr wirkt, wenn von »den Mitarbeitern« große Leidenschaft für die einmaligen und unverwechselbaren Produkte des eigenen Unternehmens gefordert wird, weil das durchaus nützlich sein kann für den Verkauf. Ungünstig nur, wenn es gar keine Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit der Produkte gibt bzw. wenn in immer kürzeren Abständen immer neue Produkte oder Produktreihen vertrieben werden. Diese hektischen Regal-Neubefüllungen nennt man Portfolio-Management. Und das ist noch eine harmlose Variante gegenüber der großen, dauernden Re-novierung. Es kommt nicht selten vor, dass ein Unternehmen innerhalb eines Jahres den Namen, die Kunden, die Rechtsform, die Zulieferer, zumindest aber den Vorstand auswechselt. Das sind Wechsel, die Leiden schaffen, statt, wie gewünscht: Leidenschaft für Unverwechselbares.
    Man kann auf das umständliche Herstellen von Waren und Dienstleistungen auch ganz verzichten und die Rendite anderweitig erreichen. Weit besser sogar. Die Loslösung der Finanzwirtschaft – einer ehemaligen Hilfswirtschaft – von der sogenannten Realwirtschaft gehört natürlich ebenfalls in diese Symptom-Kategorie und ist im Kontext der Finanzkrise vielfach thematisiert worden. Die frappierendste Trennung, die man beobachten konnte, ist die des Haftungs- vom Verursacherprinzip. »Wer den Nutzen hat, muss den Schaden tragen«, forderte einst der Ordnungsli-
berale Walter Eucken. Der Begriff »Haftung« macht heute rein wörtlich zwar immer noch einen stark klebenden Eindruck, scheint sich aber realwirtschaftlich vom Verursacher völlig gelöst zu
haben.
    Zusammenhang? Fehlanzeige!
    Auch in der klein- und kleinstwirtschaftlichen Sphäre, im Büro, grassiert der Virus der sich auflösenden Zusammenhänge. Und nicht nur bei den Visitenkarten, die keinen Bezug zur konkreten Tätigkeit mehr erahnen lassen. Da hausiert, eine Problemetage höher, zum Beispiel das Duo: Verantwortung und Befugnis. Je höher der Verantwortungsgrad, desto höher die damit einhergehenden Befugnisse, so könnte eine sinnvolle Korrelation aussehen. Zur großen Ernüchterung aller ambitionierten High Potentials
– die unisono mit der größeren Verantwortung nach dem größeren Gestaltungsspielraum trachten –
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