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Unternehmen Wahnsinn

Unternehmen Wahnsinn

Titel: Unternehmen Wahnsinn
Autoren: Theresia Volk
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wichtiger. Denn: Zeit, Geld und Konzentrationsfähigkeit sind begrenzt. Das, wofür wir diese knappen Ressourcen einsetzen, das wird genau dadurch wichtig, auch wenn es das »eigentlich« vorher nicht gewesen war.
    Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Auch das Nebensächliche.

Symptom 4: Bespiegelungen
    Es treten auf: Narziss, Heidi, Dieter und andere Experten für Impressionmanagement und Pseudo-Events.
    Woher weiß der Mensch, dass es ihn gibt? Weil er sich im Spiegel anschauen kann. Und woher weiß er, dass er schön ist? Weil der Spiegel zu ihm spricht: »Ja, du bist die Schönste im ganzen Land.« Ein Königreich für solch eine Antwort!
    Seit den Zeiten, als der schöne Jüngling Narziss sich in sein Spiegelbild verliebte, gehört eine satte Portion Eigenliebe zur Grundausstattung derer, die sich nicht mit Nebenrollen zufrieden geben. Der Narzissmus ist weit verbreitet und außerordentlich hilfreich für alle, die das Rad der Welt schneller drehen wollen mit ihren Initiativen und Visionen. Es gibt allerdings auch die Menschen, die nicht recht wissen, ob sie sich selbst mögen sollen; es aber zu gerne würden. Für sie ist der sprechende Spiegel noch wichtiger. Sie suchen ihn.
    Was für den angehenden Selbst-Lieber zählt, ist die Reaktion, die er erhält, und welche Reichweite sie hat. Ich erhalte Resonanz, also bin ich. Je mehr Spiegel, je besser.
    Ausweitung der Bühnenzone
    Seit jeher üben daher die Künste, die Bühnen, das Showbusiness eine magische Anziehungskraft aus, vor allem auf alle, die durch den Beifall des Publikums zu Höchstleistung stimuliert werden und so (erst) zu ihrem vollen Ausdruck und ihrer ganzen Kraft finden.
    Verhältnismäßig neu sind zwei für den großen Wahnsinns-Kontext interessante Entwicklungen: erstens die Ausweitung der Bühnenzone in die vormals eher nüchterne und applausarme Arbeitswelt, sprich ins Büro. Vorhang auf, Beamer an.
    Und zweitens die Erfindung der Casting-Shows in den TV-Redaktionen. Aus dem ursprünglichen Casting, der routinemäßigen Besetzungspraxis für ein Theaterstück oder einen Film, wurden die bekannten Shows. Die Nachfahren von Schneewittchens Stiefmutter fragen nicht mehr alte Wand-Spiegel, sondern meinungsbildende Autoritäten: Bin ich schön? Werde ich reich? Komme ich an? Heidi und Dieter sind die modernen Spiegel und Resonanzverstärker. Es geht allerdings nicht um reale, wirklich zu besetzende Rollen (so viele gäbe es gar nicht), sondern um Selbsterregung. So nennt der Physiker das Entstehen von Schwingungen, die zunächst eine positive, später aber eine negative Rückkopplung in Gang setzen.
    Ein klassischer Selbsterreger ist zum Beispiel ein Generator: Er erzeugt selber den Strom, der zu seiner Erregung (also zu seinem Funktionieren) erforderlich ist. Das Prinzip der Casting-Show lautet entsprechend: Erzeuge den Wind selbst, auf dem du segelst.
    In den Büros der Unternehmenswelten vollzieht sich Ähnliches. Das Arbeiten dort entwickelt sich zunehmend zu einer Casting-Show. Es beginnt mit den Assessment-Centern, die die Kandidaten das Fürchten lehren: Alle wollen rein und bibbern vor den Aufgaben, die sie unter Beobachtung lösen sollen – und dann natürlich auch vor dem Urteil der Jury, dem gefürchteten »Feedback«. Es ist Schneewittchens alter Spiegel in neuer Form, der da spricht. Noch ist es aber nur ein Casting, ein Auswahlprozess für real zu vergebende Rollen. Das Assessment Center ist nicht öffentlich – und das Feedback der einzige Spiegel. Noch gibt es keine Spiegelungen vom Spiegel, keine sich selbst verstärkende Show um ihrer selbst willen. Die Initiatoren der Veranstaltung sind im Gegenteil meist sehr bemüht, passable Kriterien zu finden und anzuwenden, um die Besten zu identifizieren und einzustellen.
    Entscheidender ist, wie es für die Kandidaten nach Bestehen des Auswahlverfahrens weitergeht. Denn wer glaubt, mit dem Vorsingen sei es jetzt vorbei und nun wird gearbeitet, hat sich getäuscht. Jetzt beginnt das Performance-Programm erst, und zwar streng öffentlich. Jedes Meeting, jedes Projekt, irgendwann auch jedes Kantinengespräch und jeder Kollegenstammtisch wird zur Bühne, auf der Ingenieur X oder Expertin Z wieder und wieder »performen«, nämlich den möglichst besten Eindruck hinterlassen müssen. Dass sie für eine Rolle, eine bestimmte Position be- und gesetzt worden sind – eigentlich der Sinn des Auswahlprozesses –, heißt gar nichts. Stattdessen gilt: Sie können sich nie sicher sein, ob sie
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