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Unternehmen Grüne Hölle

Unternehmen Grüne Hölle

Titel: Unternehmen Grüne Hölle
Autoren: Stefan Wolf
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ihr schwindelig vor Schreck. Durch die Hintertür
— so daß kein Nachbar was sah — mußte sie dann mit ihm gehen: zu einem
dunkelblauen oder schwarzen Auto. Er führte sie so fest am Arm, daß das
Autokennzeichen erst gar nicht in ihr Blickfeld geriet. Aber erkannt hätte sie
das sowieso nicht — wegen ihrer schwachen Augen. Was er zu der Zeit allerdings
noch nicht wußte.
    Nach etwa halbstündiger Fahrt waren sie
hier angekommen. Das Telefongespräch mit Johanna lag hinter ihr. Angst und
Verzweiflung hatten sie anfangs beherrscht. Aber das gab sich, merkwürdigerweise.
Jetzt empfand sie nur noch Ärger. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt, den
Kerl.
    Agathe Behlen war klein und etwas
vogelhaft, hatte silbergraues Haar und rosige Haut, die sie jünger erscheinen
ließ. Sie kleidete sich modisch, lebte von dem Vermögen, das ihr verstorbener
Mann angehäuft hatte, und besaß drei Abonnements (Anrecht zum Besuch
kultureller Veranstaltungen ): für die Städtische Oper, das Komödientheater
und den Konzertsaal. Damit war sie ausgelastet.
    „Bis morgen mittag“, sagte Friedhelm,
„werden wir es miteinander aushalten. Dann sind Sie erlöst. Ihre Tochter
gehorcht. Da bin ich mir sicher.“
    „Deshalb sind und bleiben Sie ein
Verbrecher.“
    Er feixte hinter seinem Bartgestrüpp. „Leider,
Frau Behlen, habe ich nichts anderes gelernt. Immerhin bemühe ich mich, so
selten wie möglich das Gesetz zu verletzen. Ich arbeite nur soviel, wie ich zum
Leben benötige.“
    „Soll ich Sie dafür etwa loben?“
    Agathe führte die Hand zum Mund und
gähnte verstohlen. Der Baldrian wirkte. Sie wurde schläfrig. Außerdem stieg die
Temperatur in dem Wohnraum, was zusätzlich müde machte.
    Aber sie wollte nicht einschlafen. Wie
sähe das aus? Sie war erst 60 und noch lange keine Greisin. Dann fiel ihr ein,
daß sie heute ihren Mittagsschlaf versäumt hatte.
    „So!“ meinte Friedhelm. „Jetzt nehmen
wir noch einen großen Schluck aus der Baldrianflasche — und dann werde ich Sie
oben im Schlafzimmer einschließen. Dazu sage ich Ihnen gleich, daß es sinnlos
wäre, wenn Sie Fenster und Jalousie öffnen und um Hilfe rufen. Vielleicht haben
Sie’s vorhin bemerkt: Dieses Haus liegt etwas außerhalb der Stadt und völlig
einsam. Der nächste Nachbar kann Sie nicht hören. Und Spaziergänger verirren
sich nicht hierher. Ist das klar?“
    „Baldrian nehme ich nicht mehr.“
    „Nur einen Schluck!“
    „Nein!“
    In der Hausapotheke hatte er die
Flasche gefunden. Zum Glück! Denn vorhin hatte Agathe sich aufgeregt, als gelte
es ihr Leben.
    Er stand auf, nahm die Baldrianflasche,
die auf dem Tisch stand, und trat zu seiner Geisel.
    Friedhelm Merpe war groß, schlank und
37 Jahre alt. Er bewegte sich geschmeidig. Unter der Maskierung steckte ein
gutaussehender Typ, der den größten Teil seiner Zeit in noblen Hotels, beim
Pferderennen, auf dem Golfplatz und vor allem auf Partys verbrachte.
    Daß er nichts gelernt hatte, war
gelogen. Er entsann sich einer abgeschlossenen Lehre als Schlosser. Aber das
lag 20 Jahre zurück, und außerdem — Pfui, Teufel! — mußte man sich bei der
Arbeit die Hände schmutzig machen. Das war nichts für ihn. Deshalb wechselte er
bald den Beruf und nannte sich Vermittler — Vermittler von Geschäften aller
Art. Vermittelt hatte er nie etwas. Statt dessen gaunerte er sich durchs Leben.
Seine Spezialität waren Diebstahl und gewaltlose Raubzüge.
    In letzter Zeit hatte er sich als
Schmuck- und Diamanten-Beschaffer einen Namen gemacht. Allerdings nicht bei
Juwelieren, sondern in den gehobenen Kreisen der Unterwelt.
    Er füllte Baldrian auf den Löffel.
    „Nein!“ Agathe preßte die Lippen
aufeinander.
    „Mund auf!“ befahl er in schneidendem
Ton.
    Sie erschrak. Gehorsam schluckte sie
dann, was er ihr auf die Zunge träufelte.
    Und damit er auch wirklich seine Ruhe
hatte, flößte er ihr noch zwei Portionen ein.
    „Ich... verabscheue Sie!“ keuchte
Agathe.
    „Das ist schade. Aber damit werde ich
wohl leben müssen. So — und nun husch ins Schlafgemach!“
    Sie widersetzte sich nicht. Er führte
sie die Treppe hinauf.
    In einem kleinen, rückseitig gelegenen
Gästezimmer schloß er sie ein.
    Dösig vom Baldrian legte Agathe ihren
Mantel ab. Sie drehte die Heizung an und untersuchte das Bett. Es war frisch
bezogen. Gähnend streckte sie sich aus.
    Vielleicht ist es das Beste, dachte
sie, wenn ich bis morgen mittag schlafe. Was versäume ich denn hier?
Hoffentlich kann Hannchen heute nacht
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