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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Autoren: Jörg Maurer
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auch mit dabei war!

    Jetzt lag er bewegungsunfähig auf dem Bauch. Sechzehnhundert Meter Höhe? Er überlegte. Natürlich! Er befand sich irgendwo in der Nähe dieser verdammten Wolzmüller-Alm, hoch am Berg, über dem Talkessel. Er drehte die Augen nach rechts, ohne den Kopf zu bewegen. Er blinzelte ungläubig. Einen halben Meter vor ihm bewegte sich etwas. Ein dunkler Schatten, der sich auf der Erde vorwärtsschob. Was war das? Eine Maus? Ein Ast im Wind? Ein Schuh? Schließlich sah er die klumpige Masse aus den Augenwinkeln. Es war eine Ansammlung von zwei, drei Dutzend Käfern. Sie bildeten eine breite Front, und von hinten drängten weitere heran. Beim näheren Hinsehen konnte Jennerwein die schwarze Panzerung und das dunkelrote Halsschild erkennen. Ein paar Zentimeter vor seinem Gesicht hielt die seltsame Prozession an. Die Insekten bewegten sich nicht weiter. Ihre kolbenartigen Fühler drehten sich ruckartig in alle Richtungen, ihre sechs plumpen Beinchen zitterten, und die schwarzen klebrigen Deckflügel wölbten sich über der starren Brustpanzerung. Jennerwein konnte sogar die feinen goldenen Haare erkennen, die den roten Halsschild der Käfer bedeckten. Entsetzen packte ihn. Es waren Aaskäfer. Und sie schienen auf etwas zu warten.

2
Als Unterholz wird beim Klavierbau der Teil des hölzernen Stimmstocks bezeichnet, in den die Wirbel eingeschlagen werden, die die Klaviersaiten halten. Jazzpianisten bevorzugen weiches Unterholz aus Pappel und Linde, klassische Pianisten hartes aus Buche und Eiche. Elton John verwendet Kirsch- oder Walnussholz.
    Um die Wolzmüller-Alm rankten sich viele Spekulationen und Gerüchte. Sie war nicht leicht zugänglich, lag vom Kurort drei bis vier Fußstunden entfernt, und besonders das letzte Stück des Weges war ein mühevoller Schlauch, der sich den Berg hinaufwand. Das alles verstärkte das Geheimnis um die Alm nur. Zum Mythos wird immer nur das nicht ganz Zugängliche. Nur das Verschattete und Halbseidene, das Verfluchte und Abschüssige ist auf Dauer von Interesse. Und gerade diese Wolzmüller-Alm hatte in der Tat eine wechselvolle Geschichte. In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts lief sie noch einigermaßen gut. Regelmäßig rückten Tiroler Landarbeiter an, die das Gras in mühevoller Handarbeit mit der Sense mähten, die Butter stampften, die Bäume für die Holzwirtschaft fällten und die gereiften Käselaibe mit Kraxen ins Tal hinuntertrugen. Auch eine Leitung hatten sie gebaut, mit der die frisch gemolkene Ziegenmilch sprudelnd in den Kurort rauschte. Damals, vor dreißig Jahren, gab es noch einen leibhaftigen Almbauern, den Wolzmüller Andreas. Natürlich kamen auch Kurgäste. Die schwer zugängliche Alm war ein Geheimtipp.
    »Ja, was treibst denn dann du den ganzen Tag?«, fragte der Wolzmüller Andreas einen dieser Kurgäste, nachdem der sich in seinem kleinen Gästezimmer häuslich eingerichtet hatte.
    »Das siehst du doch. Ich bin Maler.«
    »Gibts das heute auch noch? Es kommt doch alles im Fernsehen.«
    »Es werden schon noch richtige Bilder gemalt.«
    »Richtige Bilder? Das habe ich nicht gewusst.«
    Der Wolzmüller-Bauer war ein grobschlächtiges Mannsbild, ein herumfliegender Dreschflegel hatte ihm ein Auge herausgehauen, fast zwei Meter groß war er, und einen Sohn hatte er, der nichts taugte. So viel wusste der Maler, der sich mit Frank Möbius vorgestellt hatte.

    »Wie viel Bilder malt man dann so?«, fasste der alte Wolzmüller nach.
    »Eines in der Woche schon.«
    »Und da verdienst du so viel, dass du dir bei mir heroben auf der Alm eine Stube leisten kannst?«
    Vorsicht!, dachte Möbius, nicht sagen, dass es sehr billig ist hier auf der Alm. Und dass er sein Zimmer in der Stadt gut vermietet hatte. An einen Malerkollegen, der ebenfalls eine Schulbibel illustrierte, eine evangelische allerdings. Er erhöht womöglich den Preis. Laut sagte Möbius:
    »Ja, mal sehen, wie lange ich mir das leisten kann.«
    »Weißt du was, Maler: Du kriegst das Zimmer umsonst, wenn du meinem Buben das Handwerk lernst.«
    »Welches Handwerk?«
    »Deines. Er will nix arbeiten. In der Landwirtschaft ist er unbrauchbar. Zwei linke Hände hat er. Mit lauter Daumen dran. Ich habe ihn hinunter ins Dorf geschickt, aber dort will er auch nichts lernen. Da ist doch die Malerei grade recht.«
    Wie erklärt man das jetzt einem hinterwäldlerischen Almbauern, dachte Möbius, ohne ihn zu beleidigen?
    »Das geht nicht so leicht«, begann er vorsichtig.
    »Aha, so ist das!
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