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Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Autoren: Jörg Maurer
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Fürchtest du die Konkurrenz?«
    »Ist er überhaupt interessiert, dein Michl?«
    »Interessiert? Am Nichtstun ist der schon interessiert. Der Handel ist der: Du lernst ihm jeden Tag was, dann hast du freie Kost und Logis.«
    Der Wolzmüller hielt seine Riesenpratzen hin. Frank Möbius war eigentlich Buchillustrator. Er hatte einen Auftrag an Land gezogen, der war in drei Wochen abzuliefern. Er sollte eine katholische Schulbibel bebildern, möglichst plastisch, möglichst eingängig, mit einem kleinen Schuss Humor, wie der Verleger gesagt hatte. Bisher hatte er erst eine einzige Illustration fertiggestellt: Adam wartete draußen vor dem Garten Eden, Eva packte drinnen noch ihre Sachen zusammen. Der Abgabetermin drohte. In drei Wochen musste er die dreißig Zeichnungen fertig haben, das ganze Alte Testament rauf und runter.

    Der Sohn des Almbauern, der Wolzmüller Michl, war ein maulfauler Geselle, der mit seinen zwanzig Jahren keinen Bock zu gar nichts hatte. Seine Augen glotzten blöde und trübe, als er Möbius vorgestellt wurde. Widerwillig gab er ihm die Hand.
    »Wann hast du denn Zeit?«, fragte Möbius.
    Keine Antwort. Schulterzucken.
    »Hast du schon einmal etwas gemalt?«
    Wieder keine Antwort. Ein schwieriges Stück Fleisch, dieser Wolzmüller Michl, dachte Möbius.
    »Schaust du gern Bilder an?«
    Dann, nach furchtbar langer Zeit:
    »Wenn es gute sind, schon.«
    »Willst du einmal ein Bild von mir sehen?«
    Schulterzucken. Möbius zeigte ihm seinen Entwurf zum Buch Jona eins bis vier.
    »Was soll das sein?«, murmelte der Michl.
    »Jonas und der Wal.«
    »Ich sehe nichts.«
    Möbius deutete mit dem Bleistift auf die Figuren.
    »Das ist Jonas, und das ist der Wal.«
    Michl Wolzmüller schüttelte den Kopf.
    »So schaut keiner aus, der gerade ins Meer geworfen worden ist und der Angst hat. So schaut auch kein Wal aus.«
    »Ich habe es natürlich etwas überspitzt –«

    Und dann nahm der Michl ein Stück Papier und einen stumpfen dicken Zimmermannsbleistift und malte auf dem unebenen Holztisch, der in der Almhüttenstube stand, seine Interpretation des Buches Jona eins bis vier. Er kritzelte ein paar Striche und Kurven. Und es war Jonas. Und es war der Wal. Und es waren auf einem fernen Schiff im Hintergrund die Männer, die Jonas ins Meer geworfen hatten. Und es war die Angst von Jonas vor dem Wal, und der skeptische Blick des Wals angesichts dieses unverdaulichen Brockens.
    »Ninive könnte man auch noch hinzeichnen«, nuschelte der Wolzmüller Michl. »Im Hintergrund.«
    Möbius wusste, dass er diesem Schüler nichts beibringen konnte. Der beherrschte es bereits. Ganz intuitiv. Der war nicht dumm, der war bloß faul. Und in Möbius’ Kopf reifte ein Plan.

    Schon nach zwei Wochen schickte er dreißig Zeichnungen in die Stadt. Eine besser als die andere: Erschaffung der Tiere, Sintflut, Heuschreckenplage, das übliche fundamentalistische AT-Programm. Der Bibelverlag war begeistert.
    »Und, wie läuft es mit dem Michl?«, fragte der alte Wolzmüller.
    »Das ist ein harter Brocken«, sagte Frank Möbius. »Er hat ein kleines bisschen Talent, einen Hauch davon, aber man müsste viel arbeiten mit ihm. Es fehlt an der Technik und überhaupt an allen Ecken und Enden. Er müsste schon noch sehr viel lernen.«
    Wenn er es geschickt anstellte, hatte er in nächster Zeit eine todsichere Einkunftsquelle.

    Und mit diesem ungleichen Trio begann damals, vor dreißig Jahren, der Aufstieg, aber auch der Niedergang der Wolzmüller-Alm.

3
Die alten Griechen bezeichneten die Gedärme als pankreas (wörtlich: »alles Untere«), also das Unterholz des Leibes. Der Heilige Pankratius ist folgerichtig Schutzheiliger der Bauchspeicheldrüse. Man ruft ihn bei allen pankreatischen Beschwerden an, bei Bauchgrimmen, Seitenstechen, Gallenkoliken, Nierenentzündungen, Leibdrücken und ähnlichen unbehaglichen Zuständen.
    Jetzt aber schmorte das Loisachtal unter der stechenden Sommersonne. In den Vorgärten stiegen Hunderte von kleinen Grillfeuerrauchwölkchen auf. Die beiden Wanderer waren nach viereinhalb Stunden auf dem Gipfel der Kramerspitze angekommen, und von Ferne sah der Kurort aus wie ein rauchender Trümmerhaufen. Sie stießen kleine Schreie des Entzückens aus und warfen ihre Rucksäcke auf den Boden. Der Kramer, ein knapper Zweitausender, ein freistehender Klotz von einem Berg, war technisch nicht allzu schwer zu erklimmen, aber durchaus schweißtreibend. Sie ließen sich, etwas abseits vom Gipfelkreuz, an einer
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