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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern
Autoren: J Heimbach
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der doch auf jedem Umzug und hat jede Sitzung besucht …“
    „Ja und?“, unterbrach Dorle die Freundin. „Ich brauche keine Fastnacht. Ich brauche Medizin für Rolf.“ Sie war schon wieder den Tränen nahe.
    „Das meine ich doch“, entgegnete Franzi. „Der Brunner hat doch die Medizin und der Brunner ist Fastnachter durch und durch. Und – der ist einer, der keinem irdischen Genuss abhold ist.“
    Dorle stand auf dem Schlauch.
    „Na, Lewwerknepp“, erklärte die und lachte. „Du bist die beste Köchin, die ich kenne. Und deine Lewwerknepp waren schon immer die besten in ganz Mainz. Mein Norbert, Gott hab ihn selig, hat immer so davon geschwärmt, da bin ich richtig eifersüchtig geworden. Und weißt du noch, wie der Brunner früher ganz scharf darauf war. Der Sabber ist ihm regelrecht den Mund raus gelaufen, wenn es die gab.“
    Sie lachte kurz.
    Dorle schüttelte ihren Kopf.
    „Das ist nicht richtig, Franzi. Lewwerknepp werden an der Kerb gegessen. Nicht an Fastnacht.“
    „Was ist schon richtig in dieser Zeit“, widersprach Franzi und ihre Augen funkelten. „Guck dich doch um. Alles kaputt. Alles zerstört. Alles habense uns genommen. In so Zeiten kann man Lewwerknepp auch an Fastnacht essen. Denk doch an Rolf. Dem ist es egal, ob der Brunner die Lewwerknepp an Fastnacht oder zur Kerb isst. Hauptsache, er bekommt seine Medikamente.“
    Dorle wiegte ihren Kopf bedächtig hin und her. Franzi blinzelte ihrer Freundin zu. Aber der war nicht nach solchen Scherzen zumute.
    „Und ich soll dem …?“
    „Genau!“ Franzi war in ihrem Element. „Du machst ihm deine Lewwerknepp und der wird dir alle Medikamente dieser Welt besorgen. Überleg doch mal, Dorle. Jetzt ist Freitag. Am Rosenmontag ist die ‚Generalprobe‘ in der Altdeutschen Weinstube am Liebfrauenplatz. Da ist der Brunner ganz sicher dabei. Und Dienstag schläft der seinen Rausch aus. Wenn du dem dann die Lewwerknepp bringst, ich sag dir, dann …“
    Dorle war noch immer nicht überzeugt.
    „Meinst du …?“
    „Natürlich“, erwiderte Franzi voller Enthusiasmus. Für einen kurzen Moment entspannten sich Dorles Gesichtszüge. Doch mit einem Mal durchfuhr sie ein anderer Gedanke.
    „Woher soll ich denn das Fleisch nehmen? Ich brauche Leber. Hackfleisch. Knochen. Wecken …“
    Jetzt machte auch Franzi ein nachdenkliches Gesicht. „Das stimmt.“
    Einige Sekunden schwiegen die beiden Frauen, bis der Optimismus bei Franzi wieder die Oberhand gewann.
    „Das werden wir schon hinkriegen …“
    Dorle, die im letzten Dezember vierundvierzig geworden war und die mit ihren dicken blonden Haaren, die sie meist zu einem festen Zopf geflochten hatte, und ihrer schlanken Figur noch immer eine attraktive Frau war, besaß nicht Franzis Optimismus. Das Leid der letzten zwei Jahre hatte auch in ihr Gesicht Falten gezogen, die ihr aber, wie Franzi immer wieder betonte, gut standen. Sie gäben ihrem noch immer jugendlichen Gesicht etwas Ernstes. Und Würdevolles, hatte sie sogar einmal hinzugefügt. Dorle hatte oft über dieses Wort und seine Bedeutung nachgedacht. Sie war sich nicht sicher, ob es etwas Charmantes war, aber das Wort gefiel ihr.
    „Mutter, kommst du!“ Rolf rief mit dieser wehleidigen Stimme, die Dorle schon länger nicht mehr ertrug, aber sie beschwerte sich nur selten. Ein zweiundzwanzigjähriger junger Mann ohne Bein, was konnte der noch vom Leben erwarten?
    Sie erhob sich langsam und ging rüber in die kleine Kammer neben der Küche, wo Rolf sein Lager hatte, sein Wohn- und Schlafzimmer auf sieben oder acht Quadratmetern, immer in der Nähe der Mutter. Ein größeres Zimmer wäre oben gewesen, aber er hätte die Treppe benutzen müssen, was ihn zu sehr anstrengte.
    „Ja?“, fragte sie müde. Sie stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab.
    „Durst. Alles brennt!“, sagte er knapp.
    Dorle sah kurz zu ihrem Sohn auf dem Bett, der auf dem Rücken lag, die Augen zur Decke gerichtet. Seine rechte Hand hatte er auf seine Stirn gelegt, ein Bild des Jammers. Sie ging in die Küche zurück, füllte aus einem Steinkrug Wasser in ein Glas und stellte es auf den kleinen Tisch neben das Bett ihres Sohnes.
    „Wasser!“, jammerte der und Dorle ließ sich neben ihm nieder und flößte ihm das Wasser in kleinen Schlucken ein.
    Als er sich verschluckte und Wasser über sein Kinn auf sein Hemd tropfte, sah er seine Mutter vorwurfsvoll an.
    „Pass doch auf!“, herrschte er sie an.
    Vorsichtig setzte Dorle das Glas wieder an den Mund ihres
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