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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern
Autoren: J Heimbach
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seinem vierten nächtlichen Besuch nach dem Öffnen der zweiten Flasche Brand gezeigt hatte. Zuvor hatte Koch sein Geheimnis gelüftet, nämlich dass er Polizist war und den Krieg im Süden Frankreichs erlebt hatte, als Franzose. Georgs Wurzeln reichten auch nach Frankreich zurück und diese Gemeinsamkeit bildete eine Art Vertrauensbasis. Georg war gelernter Photograph. Bilder hatte Koch allerdings noch keine zu Gesicht bekommen, wenn er die beiden Abzüge im Flur, die das Straßburger Münster zeigten, nicht zählte. Und er wusste noch nicht einmal, ob die von Georg waren.
    Zwei seltsame Erlebnisse machten Bresson für ihn noch geheimnisvoller. Zum einen eine junge und hübsche, dazu sehr geschminkte Frau, die eines Abends, als er nach Hause kam, die Wohnung des Nachbarn verließ, zum anderen Geräusche, die aus der Wohnung drangen, als er einmal in seiner Mittagspause in die Wohnung musste, weil er am Morgen etwas vergessen hatte. Und diese Geräusche klangen sehr eindeutig in Kochs Ohren. Auf eine entsprechende Nachfrage hatte Georg vieldeutig gelacht.
    Bresson ließ sich in den Sessel plumpsen, beugte sich nach vorne und zog unter dem Sitzmöbel eine Flasche hervor, seinen Absacker. Koch wusste nicht, woher der Mann seinen Alkohol bekam und er wollte es auch nicht wissen. Aber es schien, dass er eine nie versiegende Quelle besaß. Mindestens an einem Abend in der Woche fing er Koch ab, wenn dieser von der Arbeit kam, lud ihn zu sich ein, und füllte ohne zu fragen die Gläser, wenn sie leer waren. Dabei sprachen die beiden Männer oft nur das Allernotwendigste.
    Koch wusste immerhin, dass der Mann keine Verwandten außer einer Cousine in Ostpreußen hatte, von der er seit Herbst 1944 nichts mehr gehört hatte und dass er es verstand, irgendwie immer durchzukommen.
    Eigentlich kam er mit solchen Menschen nicht zurecht, zumal Georg sich beharrlich weigerte ihm zu sagen, was er während des Krieges getan hatte, aber auf eine seltsame Weise genoss Koch die Abende in der kläglich eingerichteten Wohnung mit dem Alkohol und dem Schweigen. Ein Ritual am Ende eines solchen Abends war es geworden, dass sie Bücher tauschten, englische, französische oder die zwölf Jahre lang verbotene deutsche Literatur.

II
    Sie ignorierte das tiefe Brummen, das langsam und unaufhaltsam näher kam. Es würde ihr nichts anhaben können. Mit Genugtuung blickte sie über den Tisch, auf dem alles ausgebreitet lag: die eingeweichten Wecken, die dunkel-glänzende Masse der gemahlenen Leber und das hellrote Hackfleisch, die fein geraspelte Zwiebel, das Ei, die Petersilie und der Majoran. Auf dem kleinen Herd, der von einem Holzfeuer erhitzt wurde, stand der große Topf mit der Fleischbrühe. Die Flüssigkeit begann schon zu sprudeln, bald würde sie kochen. Sie sog noch einmal den Duft aller Zutaten tief in ihre Nase ein, bevor sie flink und geübt einen Fleischteig knetete. Als sie alles zu ihrer Zufriedenheit miteinander vermischt hatte, nahm sie die Dose, die am hinteren Rand des Tisches stand, und streute so lange Mehl über den Teig und mischte ihn durch, bis die Masse geschmeidig und fest war, und schmeckte das Ganze mit Salz ab. Zufrieden blickte sie auf ihr Werk und bemerkte erst jetzt, dass das Brummen so laut geworden war, dass die Quelle dieses Lärms sich fast direkt über ihr befinden musste. In der Ferne hörte sie Detonationen. Aber das alles galt nicht ihr. Ruhig nahm sie mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger etwas von der Masse aus der Schüssel und begann den ersten Kloß zu formen und zwischen ihren Handflächen zu rollen. Sie legte ihn auf ein Tablett und fuhr fort, bis der Restteig gerade noch für einen Kloß reichte. Da hörte sie von draußen ein Klopfen und schlurfende Schritte.
    „Mutter, schnell! Du musst in den Keller!“, rief jemand nur Sekunden später.
    Blödsinn, dachte sie bei sich, und wandte sich wieder ihren Lewwerknepp zu. Ein paar läppische Bomben würden sie nicht vom Kochen abhalten können. Jetzt, wo es doch darauf ankam, jetzt, wo sie beweisen konnte, welch hervorragende Köchin sie war. Sie würde es diesem Kerl schon zeigen. Nach dem Genuss ihrer Lewwerknepp würde er ihr jeden Wunsch erfüllen.
    Die Tür zur Küche wurde aufgerissen. „Mutter, hörst du denn nichts?! Du musst in den Keller!“
    Sie wandte nur kurz ihren Kopf in Richtung der Stimme. Aufgeregt und außer Atem stand ihr Sohn in der Tür, leicht vornüber auf seine Krücken gestützt. Das Brummen schien jetzt direkt über ihnen zu
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