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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage
Autoren: Thomas Ziegler
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unter Kontrolle zu bringen, »sie ist noch nicht fertig. Ich muß jetzt …«
    Flecht nickte, ohne Shreiber seinen Satz beenden zu lassen. »Ich beginne schon mit der Prognose, dann können Sie sich mit dem Rest herumschlagen. Blattern ist vor ein paar Minuten in der VIP-Kantine verschwunden. Keine Sorge der merkt nichts.«
    Shreiber holte tief Luft und stimmte halbherzig zu, froh, Flecht endlich aus seiner Nähe zu wissen und seinem verdrehten Redestrom zu entgehen. Die Vermutung, daß auch Flecht ein Werkzeug oder gar eine Manifestation des Feindes war, hatte er zwar wieder verworfen, aber noch war nicht sein ganzer Argwohn ausgeräumt, noch hegte er Zweifel, die genährt wurden durch Flechts absurde Hilfsbereitschaft. Nun, zumindest würde er so die Unterlagen rechtzeitig fertigstellen. Aber in Zukunft mußte er auf Flecht achtgeben.
    Kein Risiko.
    Und Shreiber beugte sich wieder über den Terminal und wandte seine Aufmerksamkeit dem Labyrinth der Zahlen und Daten zu. Erst später wurde ihm dann bewußt, daß dies eines der wenigen wirklichen Gespräche gewesen war, die er seit langer Zeit mit einem Kollegen geführt hatte. Seltsam. Was versprach sich Flecht davon?
     
    Jeder kann es sein.
    Denn er ist überall.
    Der Feind.
     
    Blattern!
    Shreiber senkte den Kopf und befingerte die glatten, entspiegelten Kunststofftasten, die wie runenbemalte Mosaiksteinchen unter der grauen Bildfläche des Monitors aufgereiht waren. Was wollte Blattern? War er immer noch nicht zufrieden?
    »Flecht?« Die Stimme des Abteilungsleiters war ungewöhnlich leise.
    Shreibers Gedanken wirbelten. Wie ein Blitz durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß ein wichtiges, klärendes Ereignis kurz bevorstand. Selbst die Luft schien zu knistern und an der Haut zu kitzeln. Unter Umständen, dachte Shreiber von leiser Furcht und vager Erregung übermannt, gelang es ihm sogar, etwaige Kontaktpersonen des Feindes an diesem unberührt geglaubten Ort aufzuspüren … Blatterns und Flechts Verhalten an diesem Tag konnte durchaus so gedeutet werden: Der Feind versuchte, einzudringen. Shreibers Herz pochte und klopfte hinauf bis in den Schädel. All seine Sinne meldeten Gefahr, Vorsicht, Vorsicht.
    »Ja?« Flechts Stimme war lauter; sie war laut genug, daß jeder in dem Großraumbüro ihn verstehen konnte. »Ja?« wiederholte Flecht und wühlte geschäftig in den Papieren und Computerauszügen, die sich auf seinem Arbeitspult stapelten.
    »Ich hörte, Sie sind nicht ausgelastet«, bemerkte Blattern. »Was macht die Umsatz-Prognose für die Zentralregion, Bezirk Bergisch Land?« Blattern stand da, ungeduldig wartend, mit blasiertem Gesicht.
    Er mußte sie beobachtet haben, durchfuhr es Shreiber. Blattern mußte Flecht beobachtet haben, wie er Shreiber seine Hilfe anbot.
    »Hier«, sagte Flecht gelangweilt und reichte dem Abteilungsleiter einen dünnen Folianten. »Gibt es einen konkreten Anlaß für Ihre Bemerkung über meine Arbeitsauslastung?«
    Blattern hüstelte unentschlossen und blätterte achtlos in dem Ordner.
    »Noch etwas?« fragte Flecht.
    Shreiber runzelte die Stirn. Flecht wollte Blattern zweifellos provozieren, aber was versprach er sich davon? Für einen Moment wagte er es, einen verstohlenen Blick hinüber zu Flechts Terminal zu werfen. Flecht sah ihn offen an und lächelte. Shreiber wandte wie ertappt den Kopf und verbiß sich eine Verwünschung. Durch seine Neugier hatte er sich zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lassen. Flecht wußte nun, daß seine Interesselosigkeit nur gespielt war. Er mußte die ganze Zeit auf diesen Moment gewartet haben – anders ließ sich sein halb spöttisches, halb aufmunterndes Lächeln nicht erklären.
    »Nun, wir werden sehen«, murmelte Blattern vage.
    »Vierzehn-dreißig«, sagte das Chron und summte. »Ein schöner Arbeitstag.«
    »Ja«, nickte Blattern. »Ich dulde nur zufriedene Mitarbeiter. Dies hier ist eine zufriedene Abteilung, Flecht. Sie sind noch relativ neu hier, aber Sie werden auch noch dahinterkommen. Seit ich zurückdenken kann, sind alle froh, hier arbeiten zu dürfen.«
    »Belegschafts-Infos«, sagte das Chron und summte. »Trotz gewaltiger Anstrengung der Aktion Aufbau und des Krisenrates der Wirtschaft liegt die Arbeitslosenquote innerhalb der Staatenunion nach wie vor bei neun-komma-acht Prozent. Eine Besserung ist nicht in Sicht.«
    »Ja«, murmelte Blattern. Er sah sich um, sah alle an.
    »Das Innenministerium hat Berichte bestätigt, daß weitere einhundertzwei Quadratkilometer im
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