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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen
Autoren: Werner Legere
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erfüllen.«
    »Könnten Sie sich morgen einmal ein Stündchen frei machen, um mir Modell zu sitzen? Ich möchte Ihnen gern unseren Dank für die schönen Stunden, die Sie uns auf der ,Astra’ bereitet haben, durch ein Bild abstatten.«
    »Das klingt, als fühlten Sie sich in meiner Schuld. Ganz im Gegenteil, Signore Parvisi. Ich bin es, der für so manchen netten Abend zu danken hat. Es ist immer mein Bestreben gewesen, den Fahrgästen meines Schiffes alle nur mögliche Bequemlichkeit zu bieten. Daß ich selbst kein besonders guter Gesellschafter bin, wurmt mich, und ich bitte um Nachsicht Doch zu Ihrer Bitte zurück.
    Ich werde sie selbstverständlich erfüllen. – Verzeihen Sie, wenn ich meiner Verwunderung Worte verleihe: Sie sind doch Kaufmann – und gleichzeitig auch Künstler?
    Das erscheint mir ungewöhnlich.«
    Da Parvisi nicht antwortet, lenkt Civone das Gespräch in andere Bahnen. »Wenn nicht irgendwelche Zwischenfälle auftreten, werden wir morgen abend in Malaga sein.«
    »So bald schon? Das freut mich. – Aber ich bin Ihnen noch eine Antwort schuldig. – Jeder Mensch braucht nach der Erfüllung der täglichen Aufgaben und Pflichten eine Abwechslung, einen Ausgleich. Manche suchen und finden ihn in geselligen Vergnügungen, andere in der Natur, dritte über Bücher gebeugt. Ich nehme dann Papier und den Stift und bin glücklich.«
    »Sie werden mit Ihrer Kunst viel Freude bereiten.« Bei diesen Worten des Kapitäns huscht ein Schatten über Parvisis Gesicht.
    »Im allgemeinen ja«, entgegnet er. »Nur einmal ist meine Begabung für das Zeichnen Anlaß zu Ärger und Verdruß geworden.«
    »Sie machen mich neugierig.«
    Raffaela hat sich bei den Worten des Gatten erstaunt aufgerichtet. Sie ist gespannt, was Luigi berichten wird; denn ihr ist bisher nichts darüber bekannt geworden.
    Aber der Gatte schweigt. Nach einiger Zeit erhebt er sich und tritt, der Frau und Civone den Rücken zukehrend, an die Reling. Endlich nach Minuten kommt er zurück.
    »Was soll es schaden, wenn ich von einer Dummheit erzähle, die mir leid ist. Ich bitte nur, keinen Gebrauch davon zu machen.«
    »Seien Sie dessen versichert«, beeilt sich Civone zu versprechen.
    »Nun wohl. Mein Zeichnen ist Begabung. Schon als Kind konnte ich besser mit dem Stift umgehen als gleichaltrige Spielgefährten mit der Sprache. Ich war noch nicht ganz elf Jahre und der beste Freund von Gravellis Sohn Pietro. Wie es so bei Kindern ist, einmal ist alles dicke Freundschaft, dann plötzlich, wie der Blitz aus heiterm Himmel, fällt ein Schatten auf sie. Wir hatten uns beim Spielen gezankt. Worum es ging? Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich um ein Nichts. Da ich gerade ein Stück Papier in der Tasche hatte – ich trug eigentlich immer Papier bei mir, so wie andere Bindfa-den, Messer und was so das übliche in Jungentaschen ist
    – , begann ich in meinem Zorn, Pietro zu zeichnen, so wie ich ihn augenblicklich sah. Ich hatte ihn in ein altes, zerschlissenes Räuberkostüm gesteckt und als Kopf einen Eselskopf mit den Zügen des Freundes daraufgesetzt. Als er das Bild sah – er hatte übrigens schön ruhig gesessen, während ich mit dem Stift umging –, wollte er sich auf mich stürzen und mich verprügeln. Er besann sich aber darauf, daß ich stärker war als er, entriß mir die Skizze und rannte davon.
    Sein Vater hat vor Wut über meinen kindlichen Streich getobt. Nicht den Eselskopf mit den langen Ohren, wie man leicht annehmen könnte, sondern das Räuberkostüm hat er als Beleidigung angesehen. – Ihr verspracht zu schweigen, Signore Civone, so kann ich hinzufügen: Der heute reiche Bankier Gravelli war einst ein armer verachteter Händler. Mein Vater kannte ihn schon, als er noch mit allem möglichen Abfall handelte. Gravelli kam oft als Hausierer an unsere Tür. Dann war er für längere Zeit verschwunden. Er konnte den Lebensunterhalt mit seinen Geschäften nicht mehr verdienen. Wo er sich damals herumgetrieben hat, ist unbekannt. Man vermutet, daß Gravelli bei den Briganten in den Bergen sein
    ,Glück’ gemacht hat. Vermutung, ich betone es nochmals. Als er wieder auftauchte, verfügte er über einige Gelder und konnte sich als Kaufmann in Genua nieder-lassen. Er trat nun frei und beherzt auf. Wohl sein erster Gang in der Stadt ist zu meinem Vater gewesen, der sich gern mit ihm unterhielt und auch niemals in den Jahren der Freundschaft auf die zweifelhafte Vergangenheit des Bankiers anspielte. Das hat ihm Gravelli hoch
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