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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen
Autoren: Werner Legere
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Meisterwerk, und versprach einen bedeutenden Gewinn. Die wesentlich größeren Mittel des Hauses Parvisi gehörten freilich dazu – und ein Freund. Vater stand freundschaftlich zu Gravelli – bis zu dieser Stunde.
    Bei näherem Hinsehen – denn die Gewinnaussichten waren zu ungewöhnlich, als daß man sich mit einer oder zwei Prüfungen begnügen konnte –, stellte es sich heraus, daß Gravelli auf einen großangelegten Betrug ausging. Plötzlich mußte er erkannt haben, daß seine Schliche durchschaut waren. Er riß Vater die Papiere aus der Hand und zerfetzte sie, die Hunderte von Stückchen in den verschiedenen Taschen seines Anzugs verbergend.
    Was zwischen den beiden Männern im einzelnen besprochen worden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hat mein Vater Agostino Gravelli klar gesagt, daß das Haus Parvisi jede unredliche Handlung ablehnt. Wir haben später, soweit es uns möglich war – denn Gravelli ging von da ab ins reine Geldgeschäft über – , verschiedene seiner Unternehmen geprüft. Sie waren alle nicht ganz ein-wandfrei, aber so raffiniert angelegt, daß dem schlauen Fuchs immer noch ein Fluchtloch geblieben wäre, wenn man ihn gejagt hätte. Selbstverständlich wurde der freundschaftliche Verkehr sofort abgebrochen.«
    »Und was war mit der Zeichnung?«
    »Kurz nach der Unterredung hatte ich Pietro gezeichnet. Ich denke mir, daß der Bankier im ersten Augenblick angenommen hat, Vater habe sein Wissen bekanntgegeben, sich sogar mit mir elfjährigem Buben dar-
    über unterhalten. Aber, wie ich schon versicherte, niemand weiß etwas davon. Und heute wird Agostino selbst die Winkelzüge verwerfen, deren er sich einstmals be-diente. Nur dir gegenüber, Liebes, will ich den Satz beenden: Das Haus Parvisi handelt nach anderen Grundsätzen als Agostino Gravelli, der ein unehrlicher Kaufmann ist oder wenigstens war.«
    Parvisi hat Frau und Kind hinuntergeleitet. Jetzt steht er noch einmal auf Deck. Die Erinnerung an die Jugend-freundschaft mit Pietro Gravelli klingt ab. Mit den Augen des Malers betrachtet er den Himmel, der sich vom tiefdunklen Blau im Osten bis zum feurigen Violett im Westen über dem Meer wölbt.
    Die »Astra« hat eine schöne Fahrt gehabt. Wind und Wogen waren ihr günstig gesinnt. Weder Raffaela noch Livio oder er, Luigi, sind seekrank gewesen. Lediglich Benedetto Mezzo, der langjährige Diener der Familie Parvisi, der den jungen Herrn jetzt nach Malaga begleitet, ist von der Krankheit gepackt.
    Benedetto geht es nicht gut. Leichenblaß und zu keinem Handgriff fähig, ohne Willen, etwas zu tun, liegt er in der Hängematte, als Luigi bei ihm eintritt. Er ist ein Mann Anfang der Vierziger und hängt mit Liebe an der jungen Herrschaft. Der kleine Livio nennt ihn seinen besten Freund. Immer findet Benedetto Zeit, mit dem Kind zu spielen. Und wie Benedetto spielen kann! Alle Spiele, die siebenjährige Jungen fesseln, weiß er und ist geschickt im Basteln und Erfinden; kurzum: für Livio unentbehrlich. Vor zwanzig Jahren hat er sich auch mit Luigi Parvisi so beschäftigt. Signore Andrea hat nur ver-stehend gelächelt, als der Diener sich sofort bereit erklär-te, die Heimat gegen die Fremde zu vertauschen, nur um in der Nähe des Jungen bleiben zu können.
    »Schläft er?«
    »Ja, Benedetto.« Für die beiden Menschen besteht kein Zweifel, daß »er« nur der Junge sein kann. »Und wie fühlst du dich heute?«
    »Ich werde bald wieder auf dem Posten sein. Ganz bestimmt!«
    »Kapitän Civone meint, daß wir bereits morgen abend in die Mündung des Guadalmedina, des Flusses, an dem Malaga liegt, einlaufen werden. Dann wirst du dich schnell erholen. Sorge dich nicht, Alter. Brauchst du etwas?«
    »Danke, nein.«
    »Gute Nacht, Benedetto.« -
    Der Schiffsführer denkt während der nächsten Stunden oft an das Gehörte. Eine kindliche Dummheit ist also der Grund, daß zwei der bedeutendsten bürgerlichen Familien Genuas verfeindet sind. Im Grunde ist er nicht sonderlich erfreut darüber, daß Parvisi davon sprach. Für einen Außenstehenden wie ihn, den Kapitän, ist es manchmal besser, nicht eingeweiht zu sein. Man kann plötzlich, ohne das Geringste mit der Sache zu tun zu haben, in einen Strudel gezerrt und, während sich die Großen nur gegenseitig reiben, wie zwischen Mühlstei-nen zermalmt werden. Noch einmal prüft er den Himmel. Kein Anlaß, Befürchtungen wegen des Wetters zu hegen. Es sind ja nur noch wenige Stunden, bis man die spanische Küste sichten wird. Ein Tag Fahrt über
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