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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden
Autoren: Amos Oz
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seinetwegen, sondern meinetwegen und Deinetwegen. Als wäre Dir und mir, uns beiden, etwas Schlimmes und Hässliches passiert, das sich nicht mehr wieder in Ordnung bringen lässt. Manchmal frage ich ihn: Boas, was ist? Und er sagt: Nichts. Ich werde angezogen von dieser Sprödigkeit, es ist, als hätte er nichts, als käme er direkt aus einer Wüste der Einsamkeit. Und dann – aber warum erzähle ich Dir das, es muss Dir doch wehtun, das zuhören, und ich möchte Dir nicht noch mehr wehtun, sondern im Gegenteil, jetzt möchte ich teilhaben an Deiner Einsamkeit, so wie ich einen Moment lang an seine Einsamkeit rühren wollte. Jetzt ist es fast ein Uhr in der Nacht, er schläft im Bett, zusammengerollt wie ein Embryo, der Hund liegt zu seinen Füßen, und der Kater sitzt hier auf dem Tisch, an dem ich Dir im Licht der kleinen gebogenen Lampe schreibe. Der Kater ist wach und folgt mit seinen gelben Augen den Bewegungen meiner schreibenden Hand. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, dass ich aufhören sollte zu schreiben, dass Du diesen Brief, der schon vier Seiten lang geworden ist, überhaupt nicht lesen, sondern ihn zerreißen und wegwerfen wirst, und vielleicht wirst Du denken, ich wäre völlig aus dem Gleis geraten, und ja, das bin ich auch. Wollen wir uns nicht treffen und sprechen? Nicht über die Diät von Boas und nicht über die Medikamente, die er nehmen muss. (Ich bemühe mich wirklich, ihn dazu zu bringen, dass er sie nicht vergisst. Ich bemühe mich, aber nicht immer erfolgreich. Du kennst ja seine Sturheit, die an Achtlosigkeit grenzt, aber es ist doch wohl eher Gleichgültigkeit als Achtlosigkeit, oder nicht?) Wir könnten über ganz andere Dinge sprechen. Zum Beispiel über die Jahreszeiten oder über den Himmel, derin diesen Sommernächten voller Sterne ist. Ich interessiere mich ein wenig für Sterne und für Sternennebel. Du vielleicht auch? Ich warte darauf, dass Du mir sagst, mit einem Zettel, was du davon hältst, Osnat. Zwei Worte würden reichen. Ich warte. Ariela B.«
    Osnat entschied sich, diesen Brief, der sie in ihrem Postfach erwartete, nicht zu beantworten. Sie las ihn zweimal, faltete ihn zusammen, legte ihn in die Schublade und stand eine Weile ganz still und ruhig am Fenster: Drei Katzenkinder nahe des Zaunes, eines beißt sich immer wieder in die Pfote, das zweite liegt zusammengerollt da und scheint zu dösen, aber seine Ohren richten sich misstrauisch zitternd nach vorn, als hörten sie irgendeinen leisen Laut, und das dritte rennt seinem Schwanz hinterher, aber weil es noch so klein ist, stolpert es manchmal und rollt sanft auf den Rücken. Ein Wind bläst so leicht, als wollte er eine Tasse Tee kühlen. Osnat entfernt sich vom Fenster und setzt sich aufrecht auf das Sofa, die Hände auf den Knien, die Augen geschlossen. Bald kommt der Abend, sie wird Radio hören, Unterhaltungsmusik, und dabei ein Buch lesen. Dann wird sie sich ausziehen, die Sachen sorgfältig zusammenlegen, die Arbeitskleidung für morgen neben demBett bereitlegen, sich waschen und schlafen gehen. Sie schläft in diesen Nächten traumlos und wacht auf, bevor der Wecker klingelt. Die Tauben wecken sie.

U nter Freunden

G egen Morgen fiel der erste Regen des Winters auf die Häuser des Kibbuz, auf die Felder und auf die Obstplantagen. Ein frischer Duft von nasser Erde und von blankgewaschenen Blättern erfüllte die Luft. Der Regen wischte den Staub von den roten Ziegeldächern und den Blechschuppen und rauschte in den Regenrinnen. Im frühen Morgenlicht schwebte leichter Nebeldunst zwischen den Häusern, und auf den Blumen in den Anlagen glitzerten Wasserperlen. Ein überflüssig gewordener Wassersprenger fuhr fort, sich zu drehen und Fontänen über ein Rasenstück zu sprühen. Ein nasses rotes Kinderfahrrad stand quer auf einem Weg. Aus den Wipfeln der Bäume erklangen die schrillen, hastigen Rufe verwunderter Vögel.
    Der Regen weckte Nachum Ascherow aus einem schlechten Schlaf. Beim Aufwachen schien es ihm, jemand würde draußen an seinen Fensterladen klopfen, um ihm mitzuteilen, dass irgendetwas geschehen war. Er richtete sich im Bett auf und lauschte angestrengt, bis er verstand, dass es der erste Regen war. Noch heute wirder dort hingehen und Edna auffordern, sich ihm gegenüberzusetzen, er wird ihr direkt in die Augen schauen und mit ihr sprechen. Über alles. Und auch mit David Dagan. Er wird nicht stillschweigend darüber hinweggehen.
    Doch was kann er ihm eigentlich sagen? Oder ihr?
    Nachum Ascherow
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