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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden
Autoren: Amos Oz
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Tisch in seinem Zimmer und hörte alle Nachrichten, und zwischen einer Nachrichtensendung und der nächsten beugte er sich vor und übersetzte im Licht seiner buckligen Lampe noch einige Zeilen aus Iwaszkiewicz’ Buch voller Leid. Über seinem Bett hing die Bleistiftzeichnung, die Luna ihm geschenkt hatte, eine Bank vor zwei Zypressen. Die Zypressen wirkten trist, und auf der Bank saß niemand. Um halb elf hüllte er sich in seinen Mantel, ging hinaus auf seine Terrasse und betrachtete die tiefhängenden Wolken und die menschenleeren, im gelben Laternenlicht vor Nässe glänzenden Betonwege. Wenn der Regen einmal eine Pause machte, brach er zu einem Nachtspaziergang auf und schaute nach den Blumentöpfen auf ihrer Terrasse. Eine Laubschicht bedeckte die Stufen, und Zvi glaubte, einen leichten Seifen- oder Shampooduft wahrzunehmen, der aus ihrem verschlossenen Zimmer drang. Dann wanderte er noch eine Weile über die menschenleeren Wege, von den nassen Zweigen fielen Tropfen auf seinen unbedeckten Kopf. Wenn er schließlich in sein Zimmer zurückkehrte, hörte er blinzelnd, ohne Licht anzumachen, die letzte Nachrichtensendung. Und eines Tages, ganz früh, vor der Morgendämmerung, als noch überall feuchtkalte Finsternis herrschte, hielt er einen der Melker an, der auf dem Weg zur Frühschicht war, und verkündete ihm traurig: »Hast du gehört? Heute Nacht ist der König von Norwegen gestorben. Er hatte Krebs. In der Leber.«

Z wei Frauen

F rüh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, hört sie die Tauben vor ihrem offenen Fenster. Das tiefe, gleichmäßige Gurren schenkt ihr Ruhe. Ein leichter Wind bewegt die Wipfel der Kiefern, und am Hang des Hügels kräht ein Hahn. In der Ferne bellt ein Hund, ein anderer antwortet ihm. Diese Laute wecken Osnat noch vor dem Klingeln des Weckers. Sie steht auf, schaltet den Wecker aus, wäscht sich und schlüpft in ihre Arbeitskleidung. Um halb sechs macht sie sich auf den Weg zur Kibbuzwäscherei. Dabei kommt sie an der dunklen, abweisend wirkenden Wohnung von Boas und Ariela vorbei. Sie sagt sich, die beiden schlafen bestimmt noch, und dieser Gedanke löst in ihr weder Neid noch Schmerz aus, sondern eine dumpfe Verwunderung: Als wäre alles, was passiert ist, nicht ihr passiert, sondern fremden Menschen, und nicht vor zwei Monaten, sondern vor vielen Jahren. In der Wäscherei schaltet sie das Licht an, weil das Tageslicht noch zu blass ist. Dann beugt sie sich über die Kleiderstapel, die darauf warten, gewaschen zu werden, und fängt an, sie zu sortieren, nach Weiß- oderBuntwäsche, nach Baumwolle oder Synthetik. Säuerliche Körpergerüche steigen aus den schmutzigen Kleidungsstücken auf und mischen sich mit dem Geruch des Waschpulvers. Osnat arbeitet allein, aber sie hat ein Radio, und obgleich das Brummen der Waschmaschinen die Stimmen der Sprecher und die Musik dämpft, lässt sie es die ganze Zeit laufen, um ihre Einsamkeit zu übertönen. Um halb acht ist sie mit der ersten Runde fertig, sie räumt die Maschinen leer, füllt sie erneut und geht zum Speisesaal, um zu frühstücken. Ihr Gang ist immer langsam, als wäre sie sich nicht sicher, wohin sie gehen sollte, oder als wäre es ihr gleichgültig. Wir alle halten Osnat für eine sehr ruhige junge Frau.
    Zu Beginn des Sommers hatte Boas ihr von der Beziehung zwischen ihm und Ariela Barasch erzählt, die nun schon acht Monate andauere. Nun habe er entschieden, sagte er ihr, dass sie drei unmöglich mit dieser Lüge weiterleben könnten. Deshalb habe er beschlossen, Osnat zu verlassen und zu Ariela zu ziehen. »Du bist kein kleines Mädchen mehr«, sagte er, »und du weißt, Osnat, solche Dinge passieren heute tagtäglich auf der ganzen Welt, auch bei uns im Kibbuz. Zum Glück haben wir keine Kinder. Das wäre bestimmt viel schwerer für uns.« Sein Fahrrad würde er mitnehmen, doch das Radio lasse erihr hier. Er wolle, dass die Trennung im Guten verlaufe, so wie ihr gemeinsames Leben die ganzen Jahre lang im Guten verlaufen sei. Wenn sie wütend auf ihn wäre, würde er sie ganz und gar verstehen, obwohl sie eigentlich wenig Grund habe, wütend zu sein. »Schließlich ist die Beziehung zu Ariela nicht entstanden, um dir wehzutun. Solche Dinge passieren eben, das ist alles.« Er bitte sie jedenfalls um Verzeihung. Seine persönlichen Sachen würde er noch heute holen, und er überlasse ihr nicht nur das Radio, sondern auch alles andere, einschließlich der Fotoalben und der bestickten Sofakissen und des Kaffeeservices,
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