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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden
Autoren: Amos Oz
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verabscheute. Luna verstand nicht das Geringste, doch in dem ihr eigenen Feingefühl erahnte sie, dass sie ihn irgendwie verletzt haben musste. Sie beschloss, um Entschuldigung zu bitten, auch wenn sie nicht wusste, wofür. Hatte sie ihm eine Frage gestellt, die sie ihm nicht hätte stellen dürfen? Oder war es ihr misslungen, einen bedeutungsvollen Hinweis zu erfassen, der sich in seinen Worten verborgen hatte?
    Zwei Tage später schob sie, als er nicht zu Hause war, einen Zettel unter seiner Tür hindurch, auf dem in ihrer runden, unschuldigen Handschrift stand: »Entschuldige, wenn ich dich gekränkt habe. Können wir sprechen?«
    Zvi antwortete mit einem Zettel: »Besser nicht. Es wird nicht gut enden.«
    Trotzdem wartete sie nach dem Abendessen unter dem Zedrachbaum vor dem Speisesaal auf ihn und sagte schüchtern: »Erklär mir, was ich getan habe.«
    »Nichts Schlimmes.«
    »Warum ziehst du dich dann von mir zurück?«
    »Versteh doch: Es ist … überflüssig.«
    Von da an trafen sie sich nicht mehr, und wenn sie einander auf einem der Wege oder in der Ausgabestelle für Dinge des täglichen Bedarfs zufällig begegneten, nickten sie sich zu, zögerten kurz und gingen auseinander.
    Beim Mittagessen sagte Roni Schindlin zu seinen Tischgenossen, der Todesengel habe seine Flitterwochen abgebrochen, ab sofort seien wir alle wieder in Gefahr. Und in der Tat verkündete Zvi wieder schlechte Nachrichten und erzählte den Junggesellen im Clubraum mit den Zeitungen, dass in der Türkei eine große Brücke eingestürzt sei, noch dazu zur Hauptverkehrszeit.
    Zwei, drei Monate später fiel uns auf, dass Luna Blank nicht mehr zu den Treffen des Arbeitskreises für klassische Musik kam und dass sie sogar einigen Lehrerkonferenzen fernblieb. Sie färbte sich die Haare kupferrot und fing an, einen grellen Lippenstift zu benutzen. Ab und zu erschien sie nicht zum Abendessen. An Sukkot fuhr sie für einige Tage in die Stadt und kam in einem Kleid zurück, das uns etwas gewagt vorkam, mit einem hohen Schlitz an der Seite. Anfang Herbst sahen wir sie ein paarmal zusammen mit dem Basketballtrainer auf der Bank am Rand des großen Rasens, einem Mann, zehn Jahre jünger als sie, der zweimal in der Woche aus Netanja zu uns kam. Roni Schindlin sagte: »Bestimmt lernt sie nachts zu dribbeln.« Nach zwei, drei Wochen nahm sie Abstand vom Basketballtrainer und ließ sich in Begleitung des Kommandeurs der bei uns stationierten Nachal-Einheit sehen, der gerade einmal zweiundzwanzig war. Das konnte man nun nicht mehr stillschweigend übergehen, der Erziehungsausschuss kam zu einer diskreten Sitzung zusammen und beriet sich über die pädagogischen Auswirkungen.
    Abend um Abend saß Zvi Provisor allein auf der Bank beim Springbrunnen, den er eigenhändig gebaut hatte, und schaute regungslos den Kindern zu, die auf dem Rasen spielten. Wenn jemand vorbeiging und ihm einen guten Abend wünschte, wünschte er ebenfalls einen guten Abend und berichtete traurig von den Überschwemmungen im Südosten von China.
    Kurz vor Winterbeginn machte sich Luna Blank mitten im Schuljahr auf und fuhr, ohne Vorwarnung und ohne Genehmigung des Kibbuzsekretariats, zu ihrer Schwester nach Amerika. Ihre Schwester hatte ihr ein Ticket geschickt, und Luna wurde eines Morgens in der Nähe der Bushaltestelle gesichtet, in ihrem gewagten Kleid, mit einem bunten Halstuch, auf hohen Absätzen und einen großen Koffer im Schlepptau. »Angezogen geradewegs für Hollywood«, kommentierte Roni Schindlin. Das Sekretariat beschloss, ihre Kibbuzmitgliedschaft bis zur Klärung des Falles zu suspendieren, und Roni Schindlin sagte zu seinen Tischgenossen: »Die schwarze Witwe flieht vor dem Todesengel.«
    Luna Blanks Zimmer blieb vorerst verschlossen und dunkel, obwohl im Wohnungsausschuss schon jemand ein Auge darauf geworfen hatte, wegen des allgemeinen Mangels an Unterkünften. Auf ihrer kleinen Terrasse standen noch fünf, sechs einfache Blumentöpfe, Philodendren, Geranien und Kakteen, und Zvi schaute von Zeit zu Zeit nach ihnen, goss sie und lockerte die Erde.
    Dann kam der Winter. Tiefhängende Wolken lasteten auf den Wipfeln der Bäume. Auf den Feldern und in den Obstplantagen lag dicker Schlamm, und die Feld- und Plantagenarbeiter arbeiteten in der Fabrik. Unablässig fiel grauer Regen. Nachts hörte man die Regenrinnenlaut rauschen, und kalter Wind drang durch die Ritzen der Fensterläden in die Häuser.
    Zvi Provisor saß Abend um Abend bis halb elf an dem mönchischen
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