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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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verstoßen. Nein, ich stelle mir nur einfach vor, wie der Eingeborene einen weißen Knochen wie zufällig in der Hand hält und vielleicht Folgendes sagt: ›Steve Emslie, ich bin gekommen, um die Wahrheit zu hören.‹ An dieser Stelle würde es sich dramaturgisch vielleicht ganz gut machen, den weißen Knochen etwas ins Licht zu halten. ›Du hast jetzt die Möglichkeit, dein Gewissen zu erleichtern.‹ Jetzt müsste der weiße Knochen ein wenig angehoben werden, und Orynanga könnte sagen: ›Der weiße Knochen trifft nur die Schuldigen und die Lügner. Wer aber seine Schuld bekennt, wird verschont.‹ Herr Staatsanwalt, diese Redewendung müsste im Rahmen des Gesetzes doch erlaubt sein, nicht wahr?« Creally wartete die Antwort nicht ab, sondern sprach sofort weiter. »Ich glaube fest daran, dass Steve Emslie sich die Chance der Reinigung und der Vergebung von Schuld nicht entgehen lässt. Immerhin, so hörte ich, hat er damals den Tod seines Hundes sehr bedauert. Es geht manchmal eben nichts über die magische Kraft des Glaubens.«
    Creally endete mit seinen Ausführungen. Jetzt lehnte er sich bequem in seinen Stuhl zurück und ließ dem Staatsanwalt Zeit.
    Nach einer ganzen Weile erst sagte er: »Vielleicht wäre es von Nutzen, wenn Sie oder einer Ihrer Beamten zufällig gerade in der Nähe wären, wenn Orynanga und Steve Emslie aufeinandertreffen.«
    Der Staatsanwalt rang mit sich. Man konnte es ihm vom Gesicht ablesen. Schließlich holte er ganz tief Luft und sagte: »Der Zufall geht merkwürdige Wege. Es könnte gut sein, dass ich mich an einem der nächsten Abende zufällig zur Sperrstunde in der Nähe des Pubs befinde. Ich habe einen Hund, wissen Sie, der seinen Auslauf braucht. In der Nacht hat man dafür die nötige Ruhe.«
    Creally jubelte innerlich. Er hatte eigentlich vorgehabt, nach Ambers Entlassung zu fragen, doch er wollte den Staatsanwalt nicht überfordern. Im Übrigen hatte er genug zu tun, denn er war sich beinahe sicher, dass Steve schon heute Abend wieder im Pub sein würde.

27
    Es war kurz vor Mitternacht. Der Mond hing als blasse Sichel am nachtschwarzen Himmel. In den meisten Häusern entlang der Hauptstraße von Tanunda waren die Lichter bereits erloschen. Nur aus dem Pub drang noch gedämpfter Lärm.
    Der Pub lag am Ende der Hauptstraße neben einem unbebauten Grundstück. Mehrere Eukalyptusbäume standen wie wackere Wächter neben dem Gasthaus und spendeten den trinkfreudigen Gästen an Sommertagen kühlen Schatten.
    Silvio Creally trug heute keinen Anzug, sondern eine ausgewaschene Jeans, Turnschuhe und einen dicken Pullover, darüber eine Weste, wie sie Fotografen gern trugen, weil man in ihren zahlreichen Taschen alles verstauen konnte, was ein Mann so brauchte. In Creallys Tasche steckte ein Diktiergerät. Der Anwalt wusste, dass die Reichweite minimal war, aber er wollte nichts unversucht lassen. Neben Ralph Lorenz, der ebenfalls sportlich gekleidet war, stand er hinter einem Eukalyptusbaum und wartete. Der Arzt hatte eine Hand auf Jonahs Schulter gelegt. Jonahs Atem ging schnell. Der Junge war so aufgewühlt, dass Ralph Lorenz befürchtete, er würde überstürzt handeln. Doch seine Sorge war vergebens. Jonah war klug. Er wusste, dass es nicht an ihm war, zu handeln.
    »Er muss gleich kommen, denn der Pub schließt gleich«, flüsterte Creally und machte dem Staatsanwalt, der ohne Hund, aber mit zwei weiteren Beamten gekommen war, ein Zeichen.
    Dann pfiff er leise auf zwei Fingern und sah zu Orynanga hinüber. Der alte Mann, der versteckt in der Nähe des Eingangs stand, damit man ihn nicht auf Anhieb sehen konnte, nickte.
    Vor dem Pub parkte ein unauffälliger Wagen, in dem zwei Männer saßen. Es waren dieselben, die Amber nach Adelaide gebracht hatten. Auch sie hatten ihre Blicke fest auf den Eingang des Pubs gerichtet.
    Die Männer brauchten nur knappe zehn Minuten zu warten, dann flog die Tür auf, und Steve Emslie stolperte aus der Tür und auf die Hauptstraße.
    Er hatte ein Grinsen auf dem Gesicht, sein Hemd war fleckig, und er wirkte insgesamt ein wenig heruntergekommen.
    Er taumelte zwei, drei Schritte, dann straffte er sich, hakte die Daumen im Gürtel seiner Hose ein und lief angestrengt ein paar Schritte geradeaus.
    Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand Orynanga vor ihm.
    Steve fuhr zusammen. Er wich zwei, drei Schritte zurück und drehte sich um. Doch die Straße war totenstill, wie ausgestorben.
    »Was … was willst du?«, stotterte Steve.
    Orynanga bewegte die
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