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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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Schweigen. Er dachte an den mächtigen Monolithen, der vor sechshundert Millionen Jahren mitten im Outback aus Geröll und Schlamm entstanden war.
    Die ausgeprägte Trockenheit im Outback, wusste Jonah, verlieh dem Zentrum Australiens eine raue Schönheit, die auch in die Mythen der Ureinwohner Eingang gefunden hatte. Die Aborigines nannten die Landschaft das »Never never«, eine endlos scheinende Wildnis aus Felsen und Sand. Auf den ersten Blick erwartete man kein Leben in dieser trockensten Region des trockensten Kontinents der Erde.
    Doch eine beträchtliche Zahl von Menschen, Weiße wie Aborigines, lebten in dieser rauen Landschaft, auch wenn das Leben hier unerträglich hart war.
    »Glaubst du, dass der Uluru wieder in den Besitz der Aborigines gelangt?«, fragte Jonah.
    Ralph zuckte mit den Schultern. »Sie haben einen Antrag bei der Regierung eingebracht. Ich denke schon, dass sie ihn zurückerhalten. Allmählich hat sich wohl überall herumgesprochen, dass die Eingeborenen keine schlechteren Menschen sind und man durchaus noch etwas von ihnen lernen kann.«
    Ralph sah zur Seite und fügte hinzu: »Ich bin sehr froh, dich kennengelernt zu haben, Jonah. Ich weiß, es klingt komisch, wenn ein Mann, der dein Vater sein könnte, so etwas sagt. Aber ich habe wirklich viel von dir gelernt. Du könntest der erste schwarze Arzt im Barossa Valley sein. Du wärst aber nicht nur ein Arzt, sondern immer auch ein Vertreter deines Volkes. Die Leute würden sich im Lauf der Zeit von deinen Qualitäten überzeugen lassen. Auch das, Jonah, ist eine Art, den Ahnen zu dienen.«
    Jonah lächelte, dann antwortete er: »Weißt du, Ralph, was mein größter Traum ist? Nach dem Studium mit dir zusammen eine gemeinsame Praxis zu haben. Schwarz und weiß, mit einer Empfangstheke aus schwarzen und weißen Quadraten, einem Fußboden in Schwarz und Weiß und mit uns beiden.«
    Ralph sagte nichts. Er hielt Jonah nur wortlos die Hand hin – und Jonah schlug ein.
    Sie hatten keine Zeit, lange gerührt zu sein, denn sie waren am Flughafen angekommen. Ralph stellte seinen Toyota im Parkhaus ab, dann checkten sie ein und waren kurz darauf in der Luft.
    Jonah hatte den Fensterplatz. Er drückte seine Nase an der Scheibe platt und bestaunte die Welt, die sich unter ihm auftat.
    »Es ist schwer vorstellbar, dass es immer noch Aborigines gibt, die leben wie vor Tausenden von Jahren«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich das könnte.«
    In Yulara mieteten sie einen Landrover, um die letzten Meilen durch das Outback bis zum Uluru zurückzulegen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Ehrfürchtig betrachtete Jonah die Landschaft, den roten Sand, den milchig-blauen Himmel, die karge Vegetation. Es roch nach Sonne und Sand.
    Sie kamen an das Lager, in dem zahlreiche Eingeborene lebten. Sie waren dort sesshaft geworden, wohnten in Steinhäusern, trugen normale Kleidung, arbeiteten in kleinen Werkstätten und schickten ihre Kinder in die Schule.
    Trotzdem waren sie anders. Jonah stand neben dem Auto und betrachtete die Welt, die sich vor seinen Augen auftat und die eigentlich seine Welt war.
    Er sah einen alten Mann, der eine Art Uniformrock mit großen goldenen Knöpfen über der nackten Brust trug, dazu dreiviertellange Hosen, und mit einem Pinsel sorgfältig weiße Punkte auf ein grundiertes Holzblatt tupfte.
    Er sah kleine Kinder, die nackt im Sand spielten, sah Frauen, die im Kreis saßen und Samen zu Mehl schlugen.
    Jonah sah Männer, die im Schatten der Bäume saßen und vor sich hin träumten, und andere, die sich um die Touristen kümmerten.
    Er stand da, die krausen, schwarzen Haare bis zur Schulter, in einem T-Shirt nach der neuesten Mode, dazu Jeans, Turnschuhe. Seine Haut war fast ebenso schwarz wie die Haut derer, die hier lebten. Aber Jonah unterschied sich grundlegend von ihnen. Erst hier, am Sitz der Ahnen, erfuhr er, wie nah und entfernt zugleich er doch von seinen Wurzeln war.
    Zwei Frauen riefen sich etwas zu, doch Jonah verstand die Sprache nicht. Ein kleiner Junge lief an ihm vorbei und saugte dabei an einer großen Honigameise. Noch nie hatte Jonah davon gekostet.
    Zögernd ging er näher zu einem kleinen Haus, vor dem mehrere Didgeridoos standen. Mit der Hand fuhr er vorsichtig über das ausgehöhlte Holz. Vor einem anderen Haus lagen Bumerangs in verschiedenen Größen und Ausführungen. Jonah wusste alles über die physikalischen Gegebenheiten dieses Wurfgeschosses, doch er hatte noch nie einen Bumerang geworfen.
    Er fühlte sich
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