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Unter allen Beeten ist Ruh

Unter allen Beeten ist Ruh

Titel: Unter allen Beeten ist Ruh
Autoren: Auerbach , Keller,
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Nachbargrundstück wie ein Doppelhaus verbunden. Drüben war zu dieser Morgenstunde noch alles dunkel, aber die genaue Zeichnung der Beete und die besonders eben gehaltenen Wege, auf denen auch Gehbehinderte sicher vorankommen konnten, ließen vermuten, dass Dorabella dort das Regiment führte.
    Sie ging durch die peinlich saubere Küche in einen Atelierraum mit Hunderten von Zeichnungen des Lieblingsobjektes des Künstlers an den Wänden und unzähligen Exponaten in allen Formen und Größen. Eine Hängematte mit Schlafsack zeigte, dass Herr X diesen Raum auch als Schlafzimmer nutzte. An einer Seite der Wand gab es eine Tür und einen großen Einbauschrank.
    Die Tür führte ins Badezimmer und damit zum ersehnten, dampfend heißen Wasser. Für die nächste halbe Stunde dachte Pippa nur noch an wolkigen Schaum und paradiesisch wohlige Wärme.
    Einen halben Arbeitstag später ging Pippa hungrig hinüber zu Luis’ Mittagstisch und überlegte, wie sie sich angemessen für das geflickte Dach revanchieren konnte. Allerdings befürchtete sie, dass weder Luis noch Herr X etwas von Dankbarkeit hören wollten.
    In Luis’ Wohnraum gab es nichts als zwei große Tische mit Stühlen, eine professionell ausgerüstete Küchenzeile und eine Bar, die die gesamte Rückwand der Hütte einnahm.
    Luis rührte in einem riesigen Topf, aus dem es nach Erbsensuppe duftete.
    »Das ist ja wie eine richtige Kantine hier«, sagte Pippa und sah sich neugierig um. »Habt ihr kein Vereinsheim auf der Insel?«
    »Dafür is Schreberwerder zu kleen«, erklärte Luis, »und als Eijentümer von unsere Parzellen fallen wa ohnehin nich unter das Bundeskleingartengesetz.«
    Er zog den Topf vom Herd und begann, Wiener Würstchen hinein zu schneiden. »Da hab ick kurzerhand meine Hütte als Treffpunkt anjeboten. Zum Wohnen reichen ma der Jiebel und der Jarten. Die Bar habe ick beim Abwracken von eene Jacht erjattert. Herr X hat den Aufbau verschlankt, und schon war allet tutti. Der Rest is im Jägerzaun.«
    Pippa ging zur Bar hinüber und entdeckte neben einigen ausgesuchten Whiskysorten noch Cognac, Sherry, Grenadine, Rum: alles, was man für einen guten Cocktail benötigte.
    »Dorabella liebt et extravajant«, erklärte Luis, »se hat geniale Ideen für Mixjetränke. Schmecken immer. Wirste seh’n.«
    Als er Pippas skeptischen Blick sah, griff er hinter die Bar und präsentierte ihr eine Flasche besten Sangiovese. »Wir catern ooch für Fernweh.«
    Pippa schluckte einmal in Erinnerung an Italien und nickte dann. »Sehr gut. Dann gebe ich die Flasche zur Feier des Tages aus. Mein Einstand und mein Dank für ein trockenes Haus.«
    Luis nickte anerkennend und stellte die Flasche auf den Tisch. »Heute kommen mehr zum Essen. Die Insel wird langsam voller. Feiertagswoche: Himmelfahrt.«
    Pippa setzte sich an den Esstisch, von dem aus sie freien Blick auf den Landungssteg hatte, und beobachtete, wie die Rieke auf Schreberwerder zuhielt. Luis servierte ihr einen Teller Suppe, und Pippa löffelte begeistert.
    »Das schmeckt wunderbar. Sie sind ein Genie!«
    Luis schüttelte den Kopf. »Also, junge Dame: nich mehr siezen. Hier wird sich jeduzt. Die netten Leute jedenfalls. Und rück schon mal rum, gleich kommt Nante. Der hat wenich Zeit und sitzt immer jerne mit Blick uffe Rieke .«
    Die Fähre hatte angelegt, und als Erstes stieg das Ehepaar aus, das Pippa am Tag zuvor auf der Rieke gesehen hatte.
    »Die Marthalers«, sagte Luis erstaunt. »Wat wollen die denn heute schon hier?«
    Auf dem Landungssteg griffen die Marthalers nach ihrem Gepäck und gingen los, ohne nach rechts oder links zu sehen. Ihre Gesichter sahen missmutig aus, und sie sprachen kein einziges Wort miteinander.
    Eine sechsköpfige lebhafte Familie kam als Nächste. Alle trugen transparente Plastikregenmäntel in leuchtenden Farben. Durch die spitzen Kapuzen sahen die zwei Erwachsenen mit ihren vier kleinen Kindern wie eine Familie fröhlicher Zwerge aus, als sie, bepackt mit prall gefüllten Plastiktaschen, im Gänsemarsch den Steg entlangmarschierten.
    »Die Kästners«, verkündete Luis. »Wohnen inne Borsigsiedlung uff 55 Quadratmeter, ohne Balkon. Wie im Karnickelstall. Die sind jede freie Minute hier. Kannste duzen.«
    Pippa grinste. Duzen bedeutete also, die Qualitätskontrolle der Insulaner bestanden zu haben.
    Jetzt entstiegen der Rieke ein Ehepaar und zwei Teenager, denen man deutlich ansah, dass sie jetzt lieber am anderen Ende der Welt wären, statt Zeit auf Schreberwerder zu
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