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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar
Autoren: Paul Auster
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drei Leute für nur zwei andere arbeiten, wenn drei Schwarze für zwei Weiße arbeiten. Wieder so ein unerfreuliches Echo der kolonialen Vergangenheit. Wie kann man sich von diesem Schamgefühl befreien? Nancy, Melinda und Samuel gingen ihren Aufgaben mit unerschütterlichem Gleichmut nach, und wenn sie mir auch ein paarmal höflich zulächelten, machten sie doch insgesamt einen vorsichtigen, distanzierten, desinteressierten Eindruck. Was mögen sie von uns denken? Wahrscheinlich lachen sie hinter unserem Rücken - und das mit gutem Grund.
    Die Dienstboten haben mich deprimiert, ja, aber nicht so sehr wie R. B. selbst. Nach seinem herzlichen Willkommen hatte ich das Gefühl, er wisse nicht mehr, was er mit mir anfangen solle. Ständig sagte er, ich müsse doch müde sein, die Reise müsse mich erschöpft haben, der Jetlag sei eine moderne Erfindung zu dem Zweck, den Körper des Menschen zugrunde zu richten. Ich bestreite gar nicht, dass der Jetlag mir zusetzte und ich sehr müde war, dass mir nach dem Kampf mit dem Berg alle Muskeln wehtaten, aber ich wollte aufbleiben und reden, in alten Zeiten schwelgen, wie er es in einem seiner Briefe ausgedrückt hatte, und er schien nicht geneigt, mir dorthin zu folgen. Unsere Unterhaltung beim Essen war grausam langweilig. Er erzählte, wie er Quillia entdeckt hatte und wie es ihm gelungen war, dieses Haus zu kaufen, erläuterte einige Einzelheiten des Lebens hier und hielt mir dann einen Vortrag über Flora und Fauna der Insel. Rätselhaft.
    Jetzt bin ich im Bett, umschlossen von einem weißen Moskitonetz. Mein Körper ist mit einem widerlichen Zeug namens OFF eingerieben, einem Mittel, das Moskitos abwehren soll und nach giftigen, lebensgefährlichen Chemikalien stinkt; zu beiden Seiten des Betts glimmen grüne Anti-Moskitospiralen vor sich hin, von denen wunderliche dünne Rauchfäden aufsteigen.
    Ich frage mich, was ich eigentlich hier mache.
    26. 6. Zwei Tage lang nichts. Es war mir unmöglich zu schreiben, unmöglich, einen Augenblick Frieden zu finden, aber jetzt, da ich Moon Hill verlassen habe und auf dem Rückflug nach Paris bin, kann ich die Geschichte wieder aufnehmen und zu ihrem bitteren Ende bringen. Bitter ist genau das Wort, das ich hier verwenden will. Ich empfinde Verbitterung über das, was geschehen ist, und ich weiß, dass diese Verbitterung mir noch für lange Zeit erhalten bleiben wird.
    Es begann am nächsten Morgen, dem Morgen nach meiner Ankunft in dem Haus, am 24. Wir saßen im Esszimmer beim Frühstück, als R. B. in aller Ruhe seine Kaffeetasse abstellte, mir in die Augen sah und mich bat, ihn zu heiraten. Das war so weither geholt, so völlig unerwartet, dass ich laut herauslachte.
    - Das kann nicht dein Ernst sein, sagte ich.
    - Warum nicht?, antwortete er. Ich bin hier ganz allein. Du hast niemanden in Paris, und wenn du nach Quillia kommst und bei mir wohnst, mache ich dich zur glücklichsten Frau der Welt. Wir sind ein perfektes Paar, Cecile.
    - Du bist zu alt für mich, alter Freund.
    - Du warst bereits mit einem Mann verheiratet, der noch älter war als ich.
    - Das ist es ja eben. Stephane ist tot. Mir liegt nichts daran, noch einmal Witwe zu werden.
Ach, aber ich bin nicht Stephane. Ich bin kräftig. Ich bin vollkommen gesund. Ich habe noch viele Jahre vor mir.
    - Bitte, Rudolf. Das kommt gar nicht in Frage.
Du vergisst, wie sehr wir füreinander geschwärmt haben.
Ich habe dich gemocht. Ich habe dich immer gemocht, aber ich habe nie für dich geschwärmt.
Damals wollte ich deine Mutter heiraten. Aber das war nur ein Vorwand. Ich wollte nur mit ihr zusammenleben, um in deiner Nähe sein zu können.
Das ist grotesk. Ich war damals noch ein Kind - ein täppisches, unreifes Kind. Du warst nicht an mir interessiert.
Es lief alles so gut. Die Sache war schon geplant, es wäre geschehen, wir drei waren uns einig, und dann ist dieser amerikanische Junge nach Paris gekommen und hat alles kaputt gemacht.
Das lag nicht an ihm. Das weißt du. Meine Mutter hat seine Geschichte nicht geglaubt und ich auch nicht.
Es war richtig von euch, ihm nicht zu glauben. Er war ein Lügner, ein perverser, wütender Junge, der sich gegen mich gewandt und versucht hat, mein Leben zu zerstören. Ja, ich habe in meinem Leben schreckliche Fehler begangen, aber der Mord an dem Burschen in New York gehörte nicht dazu. Ich habe ihm nichts getan. Dein Freund hatte das alles erfunden.
Mein Freund? Sehr witzig. Adam Walker hatte Besseres zu tun, als sich in eine wie mich zu
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