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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte
Autoren: Ulla Froehling
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Milgram-Studie 91 zeigte 1961, wie leicht es ist, 65 Prozent der Menschen dazu zu bringen, anderen schwere Stromschläge zu versetzen, wenn man sie in ein hierarchisches Befehlssystem einbindet und wenn die Opfer nur zu hören, aber nicht zu sehen sind. 1971 folgte das Stanford-Experiment 92 des amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo. Zimbardo ging noch einen Schritt weiter: Studenten, die freiwillig an diesem Experiment teilnahmen, wurden willkürlich in Gefangene und Wärter aufgeteilt und unter Gefängnisbedingungen beobachtet. Die Studenten – vorher mit Persönlichkeitstests auf (relative) Normalität überprüft – verschwanden sehr schnell in ihren jeweiligen Rollen. Gefangene wurden zu namenlosen Nummern, Wärter versteckten sich in Uniformen und hinter verspiegelten Brillen, verloren ihre Empathie und wurden brutal. Schon nach drei Tagen zeigten die Gefangenen extreme Stressreaktionen, die Wärter entwickelten sadistische Verhaltensweisen, sogar die Versuchsleiter gerieten in den Sog. Nach sechs Tagen musste das Experiment, das auf zwei Wochen angesetzt war, von einer externen Person abgebrochen werden. Alle Beteiligten waren tief schockiert. Eines war klar geworden: Das Potenzial zum Bösen liegt in den meisten von uns. Ob es sich Bahn bricht, hängt von den Umständen ab. Gruppendruck, unkritischer Gehorsam, ein starres System von Rollen und Vorschriften sind ein Nährboden für die Entstehung einer Diktatur. Erziehung zur Zivilcourage würde helfen, dem entgegenzuwirken. 93
    35 Jahre später veröffentlichte der Versuchsleiter Philip Zimbardo 94 eine Aufarbeitung seines damaligen Experiments, das auch ihn nachhaltig erschüttert hatte. In seinem Buch Der Luzifer-Effekt – Wie gute Menschen böse werden 95 zieht er den Bogen bis zu den Folterkammern von Abu Ghraib. 96
    Und dort ebenso wie in der Colonia Dignidad stellt sich dieFrage: Wann wäre der Moment gewesen, Einhalt zu gebieten? Viele gute und gutgläubige Menschen waren in der deutschen Kolonie in Chile versammelt. Viele waren unglücklich und verzweifelt dort. Einigen gelang die Flucht. Manche schafften es bis zur deutschen oder zur österreichischen Botschaft in Santiago, bevor sie von ihren Folterern eingeholt und zurückgeschafft wurden.
    Doch warum gab es in mehr als vierzig Jahren niemals eine Revolte? Dass so systematisch, wirkungsvoll und nachhaltig Vertrauen und Bindung vernichtet und verhindert werden können, bedarf sorgfältiger Aufarbeitung. Sie muss öffentlich sein, damit alle daraus lernen. Nicht nur wieder ein kleiner Kreis, um es zum Machtmissbrauch zu benutzen.
    »Es war nicht alles schlecht«, sagen viele der Überlebenden; auch Gudrun sagt das manchmal. Was war schön? »Die Natur, die Musik, das Gemeinschaftsgefühl«, sagen sie.
    Es war nicht alles schlecht, sagten viele nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, als Beispiel nannten sie Autobahnen und Gemeinschaftsgefühl.
    Nicht alles war schlecht in der DDR . Natürlich nicht. Und genau das ist das Gefährliche daran.
Deutsche Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad?
    Um den Überlebenden der Sekte Colonia Dignidad nach der Verurteilung von Paul Schäfer den Weg in eine freiere Welt zu ermöglichen, stellte das Auswärtige Amt zusammen mit der Deutschen Botschaft in Chile den Kolonisten in der Villa Baviera ab 2005 Information, Beratung und ein kleines Team von Psychotherapeuten als Unterstützung zur Seite.
    Diese unterstützende Maßnahme für die Bewohner der Villa Baviera wurde vom Bundestag genehmigt und finanziert. Der Bundeshaushaltsplan 2011 sieht für »Maßnahmen zur Integration der Villa Baviera in die chilenische Gesellschaft« den Betrag von245 000 Euro vor. Den Löwenanteil erhält die GiZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 97 . Unter Titel Nr. 687 43 – 29 sind im Einzelnen aufgeführt:
Psychotherapeutische und seelsorgerische Betreuung sowie Sozialfürsorge (neuer EKD -Pastor Bauschert, Psychotherapeut Dr. Biedermann, Sozialfürsorgerin Medel) in Höhe von 25 370 Euro;
Bildungsprojekte (Kindergarten und Schule, Lehrerbildungsinstitut Humboldt, LBI ) in Höhe von 78 000 Euro;
Betriebsberatung GTZ (und SES ) in Höhe von 130 000 Euro.
    Maßnahmen zur Integration von Opfern der Colonia Dignidad in die bundesdeutsche Gesellschaft sind nicht vorgesehen. Das ist ein deutliches Zeichen: Die Opfer sollen bleiben, wo sie sind. Und mit ihnen das Problem. Daher fehlt immer noch das politische Eingeständnis von Schuld und
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