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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte
Autoren: Ulla Froehling
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bleibt an dem kleinen Basti hängen, der matt auf der Wiese hockt. Den sollte man erst mal fasten lassen, denkt Schäfer, aber vielleicht ist der nur müde und muss ins Bett. Zuerst muss er sicher gewaschen werden. Dabei gehen ihm die Worte durch den Kopf, die er seiner Gemeinde im Mai im letzten Rundbrief zu Vers 13,17 aus dem Johannes-Evangelium über die Fußwaschunggeschrieben hat: »In Wahrheit meint der Herr hier dich. Ich meine waschen und gewaschen werden . Kostet es dich viel Anstrengung zu merken, wovon ich rede? – Worauf es bei dir ankommt? – Selig zu sein!!«
    Und dann stellt er sich vor, wie er den Kleinen wäscht.
    Das Lagerfeuer ist fast heruntergebrannt, die Mädchen haben sich längst in ihre Zelte zurückgezogen, manche der »Herren« schlafen auch schon, nur eine kleine Gruppe Neuankömmlinge hockt noch müde zusammen. Ein junger Mann tritt zu der Gruppe und zeigt auf einen der Jungs: »Du darfst heute bei Paul schlafen.« Die anderen schauen den blonden Elfjährigen an. Was für eine Ehre! Was für eine Auszeichnung! Sie sind neidisch. Warum gerade der? Der junge Mann bringt den Kleinen in das Zelt von Schäfer, das etwas abseits aufgeschlagen wurde. Sie gucken hinter ihm her. Dann gehen auch sie schlafen in das Gemeinschaftszelt der Jungen.
    Allmählich wird es still in den Zelten.
    Gegen fünf am Morgen beginnt es zu dämmern. Die ersten sind schon wach, gehen zum Fluss, um sich zu waschen. Oder an die Waschschüsseln in einigen Zelten, eine Schüssel für drei Personen, erst obenrum, dann untenrum.
    Es ist noch recht kühl. Schäfer braucht morgens immer länger, um hochzukommen, seine Vertrauten wissen das. Heute ist er aber schon unter den Ersten, er geht zu den Zelten der Mädchen und ruft zwei Namen. Die Schwestern kriechen aus ihren Schlafsäcken.
    »Euer Bruder ist weggelaufen«, sagt Schäfer, »verprügelt ihn.« Eine der Schwestern macht sich sofort auf die Suche nach ihrem kleinen Bruder. Als sie ihn gefunden hat, schlägt sie dem blonden Elfjährigen ins Gesicht und beschimpft ihn.
    Niemand fragt, warum.
    Keiner der Jungen, die in den Nächten zuvor die Ehre hatten, bei Onkel Paul zu übernachten, spricht über die nächtlichen Ereignisse, die immer auf dieselbe Weise ablaufen. Zuerst betet Schäfer ausführlich mit dem Jungen, dann streichelt er ihn, nimmt ihn zärtlich in den Arm, und dann kommt das Geheimnis: »Und jetzt machen wir etwas, das ist unser Geheimnis, darüber reden wir mit niemandem.« Und dann folgt der sexuelle Missbrauch. Zum Abschluss wird wieder gebetet. Damit ist der Pakt besiegelt, das Schweigegebot erteilt. Gott ist ihr Zeuge.
    Eine perfide Strategie: Schäfer bettet seine sexuelle Gewalt in Gebete ein. Manche nennen es rituellen Missbrauch.
    Seine Opfer sucht er in Heimen und in überlasteten Familien; wenn der Vater Arbeit in einer anderen Stadt findet und die Mutter viele Kinder versorgen muss – dann greift er zu. Nur wenige wissen sich zu wehren. Und wer sich wehrt, wird schuldig, versündigt sich gegen Gott, denn Schäfer ist sein Prophet. Er ist nicht der einzige.

KAPITEL 2
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Wunderheiler – Wanderprediger
Karlsruhe – Graz, 1955-1956
    F ür die meisten Deutschen und Österreicher ist mit dem Nationalsozialismus auch ihre persönliche Weltsicht zusammengebrochen, ihr Irrglaube, zu einer auserwählten Rasse zu gehören. Ihr Halt. In der Nachkriegszeit irren viele von ihnen umher auf der Suche nach Führung. Wunderheiler wie Bruno Gröning 23 tauchen auf, Gesundbeter. Erweckungsprediger aus den USA haben Zulauf. Am 24. Juni 1954 erleben 25 000 Begeisterte in Düsseldorf Billy Graham, den Baptistenprediger aus den Südstaaten der USA , 80 000 sind es am 26. Juni im Berliner Olympiastadion. Im selben Jahr gründet L. Ron Hubbard aus Nebraska im Bundesstaat Kalifornien die erste Scientology-Niederlassung. Im August 1955 führt der Endzeitprediger und Gesundbeter William Marrion Branham aus Kentucky Massenveranstaltungen in Karlsruhe mit scheinbaren Wunderheilungen durch. Am letzten Tag, dem 19. August 1955, sind auch Paul Schäfer aus Troisdorf bei Köln, der 22-jährige Ewald Frank aus Danzig und Rosa Krieger aus Graz unter den begeisterten Zuschauern und begegnen einander. Eine Begegnung mit schwerwiegenden Folgen bis weit in das 21. Jahrhundert hinein.
    William Marrion Branham ist ein charismatischer Mann. Der Pfingstprediger hat Visionen und Lichterscheinungen, die jene der Bernadette von Lourdes verblassen lassen. Branhams ruhige, warme
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