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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte
Autoren: Ulla Froehling
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Stimme kann Tausende in Trance versetzen – hypnotisch, mantraartig Worte wiederholend, vor dem Klangteppich einer Orgel, die eine getragene, eingängige Version des alten schottischen Liedes »Auld Lang Syne« spielt, das als Pfadfinderliedweltweit bekannt ist. Branhams Wunderheilung eines angeblich blinden Mädchens findet am 19. August 1955 in Karlsruhe statt, auch Schäfer, Frank und Krieger hören, wie Branham die Menschen auffordert, den Kopf zu neigen, die Augen zu schließen. Immer wieder ermahnt er sie, die Augen zu schließen. »Jedes beugt bitte dein Haupt, jedes einzelne, niemand schaut auf, nicht dein Haupt aufheben, bis dass wir dich drum bitten. Lasst eure Häupter gebeugt sein, alle bitte«, wiederholt er mehrmals. Und Tausende schließen gehorsam die Augen. Das Gemurmel wird leiser, während Branham beschwörend sagt: »As I hold this darling little child, a girl, up against my body …« – »Als ich dieses arme kleine Mädchen gegen meinen Leib halte …« 24 Im Raunen der Massen nach erfolgter Heilung spürt man, wie bewegt die Menschen sind. Jedenfalls die, die bewegt werden wollen. Und das wollen viele.
Cowboy sucht Jesus
    Der Amerikaner William Branham wuchs in Armut auf. Sein Vater, Holzfäller, war achtzehn Jahre alt, als William geboren wurde, seine Mutter erst fünfzehn. Als Erstgeborener mit neun Geschwistern musste William früh Geld verdienen; für die Schule blieb keine Zeit. Als Cowboy, Boxer, Wildhüter, Geräteprüfer im Gaswerk schlug er sich durch, bis ihm bei einer Nahtoderfahrung während einer Blinddarmoperation Jesus erschien. Die darauf folgende Suche nach Gott verband Branham mit der Suche nach Heilung seines Augenleidens und seiner Magenprobleme. Mit 22 Jahren wurde Branham Hilfspastor einer Baptistengemeinde, gründete eine Zeltmission und die noch heute existierende Gemeinde »The Tabernacle«. 1946 führte er öffentliche Gesundbetungen in großem Stil durch und wurde zum Heilungsevangelisten. Mit 37 Jahren stand Branham am Beginn eines kometenhaften Aufstiegs, der ihn in viele Länder führte.
    Der charismatische Auftritt des 46-jährigen Wanderpredigers William Branham auf dem Höhepunkt seiner Macht inspiriert den 34-jährigen Paul Schäfer aus Troisdorf bei Köln. Schäfer hat einen ähnlich gebrochenen Lebenslauf wie Branham, ist allerdings ein unscheinbarer Mann. Der jüngste von drei Söhnen, als Einziger aus dem Krieg zurückgekehrt, Nesthäkchen und Liebling der Mutter. Auch er hat gesundheitliche Probleme, besonders der Verlust eines Auges, vermutlich durch einen Unfall in der Kindheit, macht ihm zu schaffen. Wie Branham besitzt auch Schäfer nur geringe Schulbildung. Paul Schäfer war ein unbeliebtes Kind, ein Außenseiter und ein schlechter Schüler; zweimal blieb er in der Volksschule sitzen. Mit fünfzehn begleitete er einen Kraftmenschen über die Jahrmärkte, mit sechzehn bis achtzehn Jahren arbeitete er bei Dynamit Nobel in Troisdorf. Die folgenden zwei Jahre fehlen in seiner Biografie. 1941, mit zwanzig Jahren, wurde Schäfer zur Wehrmacht eingezogen und zum Sanitäter der Luftwaffe ausgebildet. Seine Einsätze sind unbekannt; aus den Wehrmachtsakten wurde die entsprechende Seite herausgerissen.
    Anders als Branham ist Schäfer kein guter Redner, wohl aber ein packender, mit besonderen Fähigkeiten: Manipulation, Spaltung, Einschüchterung. Jede Gemeinde, in der er auftaucht, spürt zuerst etwas Neues, Frisches, einen Aufbruch, der fasziniert und mitreißt. Viele sehnen sich nach geistlichem Wachstum und nach einem, der ihnen überzeugend und unzweifelhaft die Richtung weist. Den Weg zu Gott, mag er auch noch so steinig sein. In dieser Anfangsphase wirkt Paul Schäfer tatsächlich belebend, berauschend. Dann beginnt er zu spalten: Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Wer gegen ihn ist, wird bekämpft, mundtot gemacht, vernichtet. Im Verlaufe von fünf Jahren spaltet Schäfer freikirchliche Gemeinden in Groß Schwülper, Gronau, Hamburg, Salzgitter, Graz, vielleicht noch mehr. Anhänger gewinnt er, indem er Familien spaltet: die Ehepartner untereinander, die Kinder von den Eltern. Man kann sich fragen, ob Schäfer selbst gespalten war.
    Der Krieg hatte viele aus der Bahn geworfen, vielleicht auch Schäfer. Vielleicht aber hatte er die Bahn schon viel früher verlassen. Einer von vielen, denen es lange nicht gelingt, wieder Fuß zu fassen. In der Begegnung mit Branham aber offenbart sich Schäfer ein Weg, Menschen zu beherrschen. Endlich. Warum soll er
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