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Unsanft entschlafen

Unsanft entschlafen

Titel: Unsanft entschlafen
Autoren: Carter Brown
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pflege. Er war ein großer
muskulöser Mann mit breiten Schultern und trug einen Anzug, dessen Qualität
sich fast mit dem Hurlingfords messen konnte.
    »Sie sind Privatdetektiv,
Boyd«, sagte er mit harter, schneidender Stimme, »und suchen nach Irene Mandell.«
    »Stimmt.«
    Er machte sich nicht die Mühe,
sich umzudrehen. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich habe sie seit zwei Jahren
nicht gesehen, und ich will sie auch nicht wiedersehen. Sie gehört zu einem
Abschnitt meines Lebens, der vorbei ist.«
    »Mein Klient empfindet da
anders«, sagte ich. »Ich suche Miss Mandell für ihn — nicht für Sie.«
    »Sie scheinen nicht übermäßig
intelligent zu sein«, sagte er kalt. »Ich dachte, ich hätte mich völlig klar
ausgedrückt.«
    »Warum überzeugen Sie sich
nicht selbst?« fragte ich, in den gleichen Ton verfallend wie er. »Vielleicht
sehe ich gar nicht so dumm aus?«
    Er lachte leise und wandte mir
dann langsam sein Gesicht zu. »Sie ahnen gar nicht, wie gern ich das täte,
Boyd«, sagte er ausdruckslos.
    Er riß sich mit einer heftigen
Bewegung die dunkle Brille vom Gesicht, so daß ich das glasige Weiß seiner
Augäpfel sehen konnte.
    »Es tut mir schrecklich leid«,
sagte ich aufrichtig.
    »Macht nichts.« Er setzte die
Brille schnell wieder auf. »Blindheit ist am irritierendsten ,
wenn der andere nichts davon weiß. Ich kann Ihnen nicht helfen, Boyd. Ich will
es nicht einmal. Sie verschwenden nur Ihre Zeit.«
    »Wer hat Ihnen gesagt, daß ich
nach ihr suche?«
    »Sie richten Ihre Fragen an
einen begrenzten Personenkreis, der Irene nahegestanden hat«, erwiderte er
geduldig. »So etwas spricht sich schnell herum.«
    »Wissen Sie, wo ich Miss Mandells Schwester Eva finden kann?«
    »Nein. Vor zwei Jahren wollte
ich Irene heiraten. Damals ließ sie mich im Stich, ohne sich auch nur zu
verabschieden. Ein unerfreuliches Kapitel meines Lebens, das abgeschlossen ist.
Ich habe nicht die Absicht, es noch einmal aufzuschlagen. Ich nehme an, daß Sie
alleine hinausfinden?«
    »Und der Blinde an der Ecke«,
intonierte ich leise, »singt den Irene- Mandell -Blues?«
    Er verzog bitter den Mund. »Ich
kann Sie zwar nicht rausschmeißen, Boyd, aber ich kann es immerhin ablehnen,
mich weiter mit Ihnen zu unterhalten. Wenn Sie darauf bestehen, mich zu
belästigen, kann ich das Mädchen bitten, die Polizei zu rufen.«
    »Da ich äußerst zart besaitet
bin und sehr empfindlich in Bezug auf Atmosphäre reagiere, werde ich mich
lieber verabschieden«, sagte ich. »Aber ich möchte immer noch wissen, warum
alle so krampfhaft bemüht sind, sich nicht an Irene Mandell zu erinnern. Was
ist bloß los mit ihr, daß sie so konsequent vergessen bleiben soll? Litt sie
unter üblem Mundgeruch oder so was?«
    »Ich zähle jetzt langsam bis
fünf«, sagte er müde. »Wenn Sie dann noch hier sind, bitte ich das Mädchen, die
Polizei zu holen.«
    »Ich bin schon weg«, sagte ich.
    Als ich die Wohnzimmertür
hinter mir zuzog, erwartete mich das Mädchen bereits in der Diele. Sie machte
den Eindruck, als ob sie etwas auf dem Herzen habe, und ich überlegte, daß ich
schließlich nichts zu verlieren hatte, wenn ich versuchte, dem aberwitzigen
Verdacht nachzugehen, der mich überkommen hatte, als sie mir zum erstenmal die
Tür aufmachte.
    »Die Art, wie Sie mich
empfangen und zu Ihrem Herrn und Gebieter geführt haben, war ganz große
Klasse«, sagte ich, während ich auf sie zutrat, mit leiser Stimme. »Eigentlich
fast zu gut für ein simples Hausmädchen. Ich möchte wetten, daß Sie vom Theater
kommen, Jenny.«
    »Hat er Ihnen gesagt, daß ich
Jenny Shaw bin?« flüsterte sie und wies auf die geschlossene Tür.
    »Das war mein eigener
Geistesblitz«, sagte ich bescheiden. »Alles, was Sie in meinem Beruf brauchen,
ist Genie.«
    »Hat er etwas von Irene
erwähnt?«
    »Nichts. Er war ausgesprochen
zugeknöpft. Das Kapitel Irene Mandell steht bei ihm unter Zensur. Seit wann ist
er eigentlich blind?«
    Sie biß sich heftig auf die
Unterlippe und stieß dann entschlossen hervor: »Ich werde Ihnen von Irene
erzählen, Mr. Boyd, aber nicht jetzt und nicht hier.«
    »Großartig«, sagte ich. »Wann
können wir uns treffen?«
    »Ich bin heute
abend ab halb acht Uhr frei. Sagen Sie, wo ich hinkommen soll.«
    Mir fiel ein, daß ich um acht
schon mit Jean Vertaine verabredet war.
    »Ich muß heute
abend noch mit jemandem sprechen«, sagte ich, »aber das wird nicht sehr
lange dauern. Paßt Ihnen zehn Uhr?«
    »Ganz wie Sie wollen. Und wo?«
    »Wie
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