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Unsanft entschlafen

Unsanft entschlafen

Titel: Unsanft entschlafen
Autoren: Carter Brown
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dicken Brillengläsern verachtungsvoll an.
    »Ich will ja nur wissen, ob das
da oben Jerome Williams ist«, sagte ich verärgert.
    »Mr. Williams probt gerade«,
erwiderte er mit einem mörderischen Flüstern. »Würden Sie jetzt bitte still
sein?«
    Ich verfolgte einen Augenblick
lang die Akteure — zwei Schauspieler und eine erstaunlich wohlproportionierte
Schauspielerin.
    »Wer ist denn der Rotschopf mit
dem üppigen Busen?« erkundigte ich mich.
    Er reckte sich plötzlich starr
in die Höhe und gab einige erstickte Laute von sich. »Meine Schwester!«
gurgelte er gedämpft.
    »Deswegen brauchen Sie sich
doch nicht zu entschuldigen«, beruhigte ich ihn. »Sie sollten stolz sein, so
eine Schwester zu haben. Wie heißt sie denn?«
    »Jean Vertaine, und wenn Sie
noch ein Wort über ihr Äußeres verlieren, lasse ich Sie aus dem Theater
werfen.«
    »Sie pusten sich ja bloß so
auf, weil Sie wissen, daß Sie kleiner sind als ich«, sagte ich vorwurfsvoll.
»Wie lange geht denn das da oben noch weiter?«
    Zunächst konnte ich vor lauter
Zischen überhaupt nichts mehr verstehen, dann wurden seine Worte endlich
deutlicher. »Wer sind Sie eigentlich?« verlangte er in durchdringendem
Flüsterton zu wissen. »Und wie sind Sie überhaupt am Portier vorbeigekommen?«
    »Mein Name ist Danny Boyd«, gab
ich ihm bereitwillig Auskunft, »und das Hereinkommen hat mich fünf Dollar
gekostet.«
    »Was wollen Sie?«
    »Mit Williams sprechen — und
mit Ihrer Schwester.«
    »Meine Schwester lassen Sie aus
dem Spiel.«
    »Was haben Sie denn?« fauchte
ich. »Einen fehlgeleiteten Vaterkomplex? Die Besprechung ist rein
geschäftlich.«
    »Sie suchen wohl Nachwuchs für
Ihren Harem?« zischte er.
    »Nein, für eine Wanderbühne«,
korrigierte ich ihn. »Ich brauche auch noch ein menschliches Skelett. Das wäre
doch etwas für Sie.«
    Der leidenschaftliche Dialog
auf der Bühne wurde jäh unterbrochen. In der plötzlich eintretenden Stille
blickte ich gerade rechtzeitig empor, um zu sehen, wie Williams herumwirbelte
und zu uns hinunterstarrte.
    »Falls wir eine Privatunterhaltung
gestört haben«, sagte er kühl, »bitte ich vielmals um Entschuldigung.«
    Der dürre Jüngling sprang auf.
Er zitterte vor Erregung. »Es tut mir schrecklich leid, Mr. Williams, aber es
war dieser Verrückte hier. Boyd ist sein Name, sagt er, und er will Sie
sprechen. Ich habe versucht, ihn zum Schweigen zu bringen, aber es ist
unmöglich.«
    Williams musterte mich eisig.
»Was wünschen Sie?«
    »Eine kleine Unterredung«,
erwiderte ich. »Aber es hat keine Eile — ich warte, bis Sie fertig sind.«
    Einen Augenblick dachte ich, er
würde explodieren, und erwartete schon die Flammen aus seinem Schädel schlagen
zu sehen, aber er beherrschte sich doch noch.
    »Die Stimmung ist ohnehin
vorbei«, sagte er verdrießlich und drehte sich zu den wartenden Schauspielern
um. »Fünfzehn Minuten Pause, Kinder. Ich muß erst diesen Versicherungsvertreter
hier loswerden.«
    Während ich aufstand, stieg er
von der Bühne herab und kam auf mich zu, ein großer, etwas zu beleibter Mann,
dessen Aussehen und Gehabe jene Distinguiertheit hatte, die nur Schauspieler
und Edelgauner zustande bringen. Er warf der zitternden bebrillten Bohnenstange
neben mir einen Blick zu und grinste boshaft.
    »Verschwinde«, fauchte er. »In
Jeans Vertrag steht nichts davon, daß ich ihren Bruder in meiner Nähe dulden
muß.«
    Vertaine gab wieder die
erstickten Laute von sich und eilte dann geknickt von hinnen.
    »Können Sie nur ihn nicht
ausstehen«, erkundigte ich mich interessiert bei Williams, »oder erstreckt sich
Ihre Abneigung auf die gesamte Menschheit?«
    »Er gehört zu den Leuten, die
ich nicht leiden kann, und Sie ebenfalls«, erwiderte er. »Ich warne Sie, Boyd.
Wenn Sie mir bloß irgend etwas andrehen wollen, schmeiße ich Sie hier
eigenhändig raus.«
    Ich erklärte ihm in Stichworten,
worum es ging, aber obwohl ich nicht länger als zwei Minuten dazu brauchte,
trug er eine gelangweilte Miene zur Schau.
    »Irene Mandell?« Er schnob
durch die Nase. »Vielleicht ist sie in einem Privatsanatorium oder schon unter
der Erde - wer weiß?«
    »Ich dachte, Sie wüßten das
vielleicht«, erwiderte ich. »Deshalb bin ich hergekommen.«
    »Für eine Schauspielerin
bedeutet die zweijährige Abwesenheit vom Broadway ein Lebensalter«, sagte er
etwas leutseliger. »Was das Theater betrifft, ist Irene Mandell tot.«
    »Können Sie mir nicht
wenigstens einen Hinweis geben, wo ich die Leiche
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