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Unnatural History

Unnatural History

Titel: Unnatural History
Autoren: Jonathan Green
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waren; wo es entdeckt und ausgegraben worden war, wer es zu einem Ganzen wiederherstellte und einige andere sachdienliche Informationen, die der Beschaffer des Exponats mitzuteilen für nötig befunden hatte. Nach sechsunddreißig Jahren gab es nicht viele Etiketten, die Alfred noch nicht gelesen hatte.
    Das Wissen um seine Rolle als Hüter des bedeutsamsten Museums für Volksgeschichte des Landes – und infolgedessen des ganzen Königreiches und demnach, faktisch, der gesamten Welt! – bereitete ihm große Befriedigung. Und auch wenn er sich seit seinem Amtsantritt noch keiner Herausforderung in seinem friedvollen Wächteramt im Dienste der unzähligen Schätze von Mutter Natur hatte stellen müssen, Alfred Wentwhistle war zur Stelle, jede Nacht des Jahres – sogar am Weihnachtsabend – nur für den Fall, dass das Museum ihn jemals brauchen würde.
    Hin und wieder stieß er auf einen der Museumsforscher, die noch bis spät in die Nacht arbeiteten. Sie tauschten dann einige Nettigkeiten aus und manchmal wurde ihm sogar ein warmes Getränk angeboten. Sie alle kannten den alten, zuverlässigen Alfred, und auch er kannte sie alle beim Namen. Über die Jahre hatte Alfred Professoren kommen und gehen sehen – Botaniker, Zoologen, Naturforscher und Kryptozoologen – doch manche Dinge blieben stets dieselben, wie das Waterhouse-Gebäude selbst und sein nächtlicher Hüter.
    Alfred wusste, wo sein Platz war. Die Wissenschaftler waren hochgradig intelligente und gelehrte Berühmtheiten der Museumseinrichtung, und er nicht mehr als ein einfacher Wachmann. Ihm reichte es vollkommen aus, sich stundenlang zwischen den Ausstellungsstücken in den Vitrinen aufhalten zu dürfen. Es wurde das ›Haus der Naturkunstwerke‹ genannt; Sir Richard Owens nachhaltiges Vermächtnis an die Welt.
    Alfreds langsame, unaufhaltsame Schritte trugen ihn zurück in die Haupthalle und zum Museumseingang. Er verweilte kurz neben dem gereckten, skelettierten Hals eines Diplodokus, um im Schein der Lampe seine Taschenuhr zu lesen, so wie in jeder vorangegangenen Nacht, fünf Minuten, nachdem er seinen Gang begonnen hatte – pünktlich wie ein Uhrwerk.
    Er sah auf. Der Strahl seiner Lampe traf direkt in das Innere der Augenhöhle eines Giganten. Der glotzte teilnahmslos direkt auf den Museumseingang, um dort täglich 20.000 Besucher unter dem Torbogen hervorkommen zu sehen.
    Alfred hörte Metall an Metall schlagen, bemerkte aus dem Augenwinkel einen Lichtschimmer und realisierte zu spät, dass eine der Türen offen stand. Zweifellos war die Tür zuvor verschlossen gewesen. Es war stets das Erste, was er bei Dienstantritt tat. Falls einer der Wissenschaftler oder Katalogisierer noch zu nächtlicher Zeit arbeitete und auch erst zu später Stunde das Museum verließ, schloss Alfred stets eigenhändig für sie auf – und verriegelte die Tür sogleich wieder hinter ihnen.
    Nein, er hatte keinen Zweifel, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Er durchschritt die Tür und konnte sogleich erkennen, dass sie aufgebrochen wurde.
    Das Geräusch von berstendem Glas schallte von einer der oberen Galerien durch die Museumshalle. Da lief ganz eindeutig etwas gehörig schief! Zum ersten Mal seit sechsunddreißig Jahren wurde er von seinem Museum gebraucht.
    Der Wachmann watschelte geschwind von der Tür aus durch die Eingangshalle und flog geradezu an dem fünfundzwanzig Meter langen Diplodokus vorbei auf die Haupttreppe zu. Dort angelangt, warf er einen raschen Blick über seine Schulter, direkt in den Schlund des gewaltigen Gewölbes zum ersten Stockwerk, in das der prunkvolle Treppenaufgang führte. Über ihm hüpften geschnitzte Affen in den oberen Teilen der Rundbögen hinauf in die Dunkelheit, mitten hinein in das mit Schnörkeln verzierte, eiserne Dachgebälk.
    Definitiv kam der Lärm aus der Galerie, gleich dort, wo auch die privaten Büros des Museumspersonals lagen. Eine Hand auf der polierten Steinbalustrade tat Alfred Wentwhistle einen tiefen Atemzug und erklomm die Stufen – immer zwei auf einmal. Auf dem ersten Absatz, unter dem strengen, bronzenen Blick von Sir Richard Owen, wandte er sich nach rechts. Er eilte die Galerie parallel zur Eingangshalle entlang, passierte ausgestopfte Dreifinger-Faultiere und die drapierten Skelette von prähistorischen Meeresreptilien und sprang den dritten Treppenabsatz hinauf. Völlig außer Atem nahm er sich einen Moment, um zu verschnaufen. Er spitzte die Ohren, um auszumachen, von woher genau das Geräusch
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