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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition)
Autoren: Robert Cormier
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fragte Tyler.
    »Weil ich sie schon lange kenne. Bis zur Oberstufe waren wir sogar beste Freundinnen.«
    »Was ist passiert?«
    »Ach, du weißt doch, wie das ist. Irgendwann haben wir uns eben auseinanderentwickelt.«
    Aber natürlich hätte es auch dazu mehr zu sagen gegeben.
    »Trotzdem kein Grund, andere Leute so zu behandeln.« Tyler beugte sich übers Lenkrad und hielt nach der Straße Ausschau, die aus dem Viertel hinausführte.
    In Gedanken spulte ich noch einmal ab, was wir gerade erlebt hatten, und suchte nach einem Hinweis darauf, weshalb Lucy so extrem schlecht gelaunt gewesen war. Vor ungefähr zwanzig Minuten hatten wir sie bei Cassandra Quinn abgeholt. Es war kurz nach halb drei gewesen und durch die hell erleuchteten Fenster konnten wir sehen, dass die Party noch voll im Gange war. Die Haustür ging auf und Lucy kam quer über den Rasen auf uns zugewankt. Ihr war deutlich anzumerken, dass sie ziemlich viel intus hatte, was mich überraschte. Ich wusste ja, dass sie Medikamente nahm, die sich mit Alkohol nicht vertrugen. Und warum hatte sie überhaupt den Schülerfahrdienst angerufen, statt sich von Adam nach Hause bringen zu lassen?
    Sie riss die Wagentür auf und rutschte auf die Rückbank. »Bringt mich nach Hause«, blaffte sie. »Und zwar schnell.«
    Tyler sah mich an und zog die Brauen hoch. Ich wusste nichtviel über ihn, weil er erst vor drei Wochen – fast einen Monat nach Beginn des Schuljahrs – zu uns auf die Soundview High School gekommen war. Er hatte dunkelbraune, längere Haare, braune Augen und eine leicht schiefe Nase, die er sich wahrscheinlich mal gebrochen hatte. Meine Freundin Courtney Rajwar und ich waren uns nicht einig, ob das nun ein Plus oder ein Minus war. Ich fand, dass die gebrochene Nase ihm etwas Markantes gab; Courtney empfand sie als Makel. Aber was den Rest von ihm anging, waren wir einer Meinung. Er war groß, schlank, durchtrainiert und – wie ich fand – extrem sexy.
    Ich konnte mir ungefähr vorstellen, was Tyler dachte. Nur weil Lucy blond war, eine Wahnsinnsfigur hatte und sich aufführte, als wäre sie die Königin der Schule, hieß das noch lange nicht, dass die Gesetze der Höflichkeit für sie aufgehoben waren.
    Er fuhr wortlos los.
    »Kannst du die Scheiße vielleicht mal abstellen?«, verlangte Lucy.
    Tyler drehte die Anlage leiser, machte sie aber nicht aus. Von der Rückbank her hörte ich ein Knistern. Lucy hatte ihre Zigaretten ausgepackt, schob sich eine zwischen die Lippen und kramte in ihrer Tasche nach dem Feuerzeug. Tyler rollte genervt mit den Augen.
    »Im Auto wird nicht geraucht, Lucy«, sagte ich.
    »Gott! Kein Grund, gleich einen Herzinfarkt zu kriegen. Entspann dich mal, Madison«, knurrte Lucy und wühlte weiter in ihrer Tasche.
    Tyler sah sie im Rückspiegel an. »Wenn du so weiterrauchst, kriegst du einen.«
    Lucy schnaubte bloß und zog ein grünes Plastikfeuerzeug aus der Tasche. »Kenne ich dich?«
    »Tyler Starling«, stellte er sich vor. »Ich bin erst vor ein paar Wochen hergezogen.«
    »Ganz schlechtes Timing«, nuschelte Lucy mit der Zigarette zwischen den Lippen. »Sag mal, willst du mit deinem Auto einen Hässlichkeitswettbewerb gewinnen, oder was?«
    Tyler antwortete nicht. Lucy schnippte mit dem Daumen das Feuerzeug an und die Flamme erleuchtete für einen Moment ihr Gesicht. Sie zog an der Zigarette, ließ die Scheibe halb herunter und blies den Rauch hinaus. Kalte Novemberluft strömte ins Wageninnere. Ich mummelte mich in meinen neuen roten Paschmina ein und warf ihr einen besorgten Blick zu, der sie aber nur noch aggressiver zu machen schien.
    »Gott, Madison, was machst du überhaupt hier? Wieso kutschierst du an einem Samstagabend Leute durch die Gegend?«
    »Weil ich mir nun mal ›Safe Rides‹ als Sozialdienst ausgesucht habe.«
    »Du hättest auch bei ›Essen auf Rädern‹ mitmachen können, dann hättest du samstags frei und könntest auf so wahnsinnig tolle Partys gehen wie die, auf der ich gerade war«, sagte sie sarkastisch.
    »War’s so schlimm?«, fragte ich.
    »Schlimmer«, antwortete Lucy mit einem Schulterzucken. »Immer dieselben Vollidioten und dazu noch ein paar Typen vom Community College, die echt komisch drauf waren. Ich mach drei Kreuze, wenn ich endlich mit der Schule fertig bin.«
    Wir fuhren schweigend durch die Straßen, bis Lucy irgendwann in den Rückspiegel schaute und Tylers Blick auffing.
    »Hey, ich kenne dich ja doch. Bist du nicht der Typ, der immer im schwarzen Ledermantel
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