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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition)
Autoren: Robert Cormier
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paar Eingangstüren brannten Lampen, ansonsten waren die Häuser in der Straße in völlige Dunkelheit gehüllt. Die Sterne funkelten durch die nahezu kahlen Äste der Bäume und die Stille war beinahe unheimlich, doch Lucy nahm nichts um sich herum wahr. Ihre Gedanken kreisten um den Streit, den sie mit Adam gehabt hatte.
    Vordergründig war es dabei um die Unibewerbungen gegangen, ein Thema, das sie und Adam in den letzten Monaten bewusst vermieden hatten. Sie wollte am liebsten nach Stanford. Ihre Chancen, an dieser Eliteuniversität aufgenommen zu werden, standen sehr gut, da ihre Familie schon in der vierten Generation dort studierte und die Uni immer wieder mit Spendengeldern unterstützt hatte. Adam dagegen wollte unbedingt nach Harvard. Da er nicht nur der gefeierte Tormann des Lacrosse-Teams war, sondern auch ein Spitzenschüler, der im Uni-Eignungstest sagenhafte 2300 Punkte erreicht hatte, würde er dort bestimmt genommen werden. Aber wieso konnte er sich nicht einfach auch in Stanford bewerben wie sie? Das Lacrosse-Team dort war viel erfolgreicher als das von Harvard. Und es war nun mal eine Tatsache, dass er viel eher in Stanford aufgenommen werden würde als sie in Harvard. Wenn sie trotzdem in seiner Nähe bleiben wollte, würde sie an der Tufts University oder am Boston College studieren müssen. Aber warum sollte sie Adam zuliebe Kompromisse machen? Wieso konnte er nicht ihr entgegenkommen?
    Lucy nahm noch einen Zug. Die Spitze der Zigarette leuchtete rot auf, während der Tabak zu Asche verglühte und dieses tröstliche Gefühl sich in ihren Lungen ausbreitete, nach dem sie sich in letzter Zeit immer öfter sehnte. So wie sie begonnen hatte sich darauf zu freuen, am Freitag und Samstag regelmäßig zu trinken. Natürlich hatte man sie gewarnt Alkohol zu trinken, solange sie ihre Medikamente nehmen musste. Und man hatte ihr auch tausendmal erzählt, dass Raucher früher sterben. Aber das war ihr egal. Sollten sie doch alle reden. Lucy spürte, wie die alte Wut wieder in ihr hochstieg. Warum gerade sie? Warum musste gerade sie diese verdammte Krankheit haben, die sie emotional Achterbahn fahren ließ?
    Zitternd nahm sie einen weiteren Zug. Mach dir doch nichts vor , sagte sie sich. In Wirklichkeit ging es zwischen ihr und Adam gar nicht um irgendwelche Unibewerbungen. In Wirklichkeit ging es darum, dass Adam die Beziehung beenden wollte. Er hatte sich in den letzten Monaten immer mehr von ihr entfernt und sie war durch die Schule und den ganzen Unibewerbungsstress so abgelenkt gewesen, dass sie es nicht einmal bemerkt hatte. Je mehr Lucy darüber nachdachte, destosicherer war sie, dass Adam heute Abend die Trennungsphase eingeläutet hatte. Er würde es ihr natürlich ganz behutsam und schrittweise beibringen, weil Adam nicht nur extrem intelligent und sportlich war, sondern darüber hinaus auch noch viel feinfühliger, als die meisten Leute ahnten. So feinfühlig, dass er bestimmt Angst hatte, der Schock über eine plötzliche Trennung könne sie aus dem ohnehin empfindlichen seelischen Gleichgewicht werfen und zu irgendwelchen unüberlegten Schritten hinreißen.
    Deswegen hatte er heute Abend dafür gesorgt, dass sie etwas bemerkte, was ihr bisher entgangen war: Er hatte eine andere.
    Lucy verfluchte sich, so blind gewesen zu sein. Warum war es ihr nicht schon früher aufgefallen? Adam hatte sie abgeschrieben. Ihre Zärtlichkeiten und Liebeserklärungen heute Abend hätte sie sich sparen können. Es war aus. Vorbei.
    Okay. Zeit, in den Schadenbegrenzungsmodus zu schalten. Kein Junge hatte jemals mit ihr Schluss gemacht und auch diesmal würde sie es nicht so weit kommen lassen. Adam hatte zu Recht Angst vor ihrer Reaktion, aber anscheinend fehlte ihm die Fantasie, sich vorzustellen, was sie tatsächlich tun würde. Dabei war es so naheliegend. Sie musste nur mit ihm Schluss machen … und zwar bevor er mit ihr Schluss machen konnte. Sie würde jetzt ins Haus gehen und sich gleich an den Computer setzen, um ihren Status bei Facebook auf »Single« zu setzen. Es kam jetzt auf das richtige Timing an und dass es so viele Leute wie möglich mitbekamen. Danach würde sie die Bewerbungsunterlagen für Stanford fertig machen. Sie würde nicht zulassen, dass Adam oder ihre bescheuerte Krankheit ihren Zielen im Wege standen. Sie war immer eine Gewinnerin gewesen, und wenn sie das weiterhin bleiben wollte, musste sie alles tun,was notwendig war, um nicht auf der Verliererseite zu landen. Mit anderen Worten:
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