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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition)
Autoren: Robert Cormier
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da hatte Jane begriffen, dass Leslie versuchte, jede Berührung zu vermeiden, als könnte sie sich irgendwie anstecken. Patti, die Kichererbse, hatte ausnahmsweise einmal nicht gekichert. Das war noch schlimmer, als wenn sie gekichert hätte. Stattdessen sagte sie ständig: » Wow .« Murmelte immer wieder und wieder dieses Wow , in einem atemlosen Flüstern, bis Jane am liebsten geschrien hätte: Pink auf dich!
    Später setzten sie sich auf der hinteren Veranda auf die Brüstung, hielten graziös das Gleichgewicht und baumelten mit den Beinen.
    »Wer kann so etwas nur tun?«, sagte Leslie. »Ich meine, warum sollte man sich ausgerechnet über euer Haus hermachen? Warum ausgerechnet über Karen?«
    Jane fand die Wortwahl beleidigend. Darüber hermachen .
    »Die Polizei meinte, Karen hätte einfach das Pech gehabt, im falschen Augenblick zu kommen«, sagte Jane mit knapper, tonloser Stimme. »Es hätte jeden treffen können.«
    »Das war wirklich Pech, dass man ausgerechnet auf euer Haus gestoßen ist«, sagte Patti.
    Gestoßen.
    »Und die Polizei?«, fragte Patti. »Was sagt die Polizei dazu?«
    »Die Polizei weiß nicht, was sie davon halten soll«, sagte Jane und hämmerte mit den Absätzen gegen die Pfosten der Brüstung. »Es gibt keine Indizien.« Indizien , ein Wort aus Fernsehkrimis. »Und keine Zeugen.« Noch so ein Krimi-Wort. Dadurch wurde alles ganz unwirklich. »Die anderen Sachen – der Steinwurf, das tote Eichhörnchen. Die Polizei sieht da keinen Zusammenhang. Sie glaubt, die Verwüstung wurde von jemand anderem gemacht, von mehr als einer Person. Vier oder fünf.«
    »Soll das heißen, dass Karen und vier oder fünf Kerle …« fing Leslie an. Ein entsetzter Ausdruck trat in ihre Augen, und ihre Stimme erstarb in diesem Entsetzen.
    »Davon weiß man nichts«, sagte Jane. Sie vermied das Wort, das Leslie vermieden hatte, und setzte es dann doch ein. »Hör mal, sie ist nicht vergewaltigt worden. Sie wurde … überfallen, attackiert. Aber selbst das lässt sich nur schwer beurteilen. Sie ist die Kellertreppe hinuntergefallen. Oder sie wurde hinuntergeworfen. Aber eindeutig nicht vergewaltigt.« Wieder dieses grässliche Wort.
    Eine Weile sagte niemand etwas. Bis auf das ferne Surren eines Rasenmähers war die ganze Gegend von Stille durchdrungen. Jane wollte das Thema wechseln, und zugleich hatte sie das Bedürfnis, das Schweigen zu durchbrechen, in dem dieses schreckliche Wort widerzuhallen schien.
    »Die Polizei steht vor einem Rätsel, wie sie in das Haus eingedrungen sind«, sagte Jane. »Es gibt, wie sie das nennen, ›keine Anzeichen für einen gewaltsamen Zutritt‹.« Als sie die verständnislosen Gesichter sah, fügte sie hinzu: »Das heißt, dass sie keine Tür aufgebrochen haben, um hereinzukommen. Sie haben auch kein Schloss geknackt.« Und dann, wie zu sich selbst, weil es so rätselhaft war: »Und noch etwas – sie haben kein Fenster eingeschlagen. Sie haben ungefähr tausend Gläser und sämtliche Spiegel im Haus zerschlagen, aber keine Fensterscheibe …«
    »Was bedeutet das?«, fragte Patti verwirrt.
    »Ich weiß nicht«, sagte Jane. Ihre Stimme klang unterwürfig, fern.
    Die Schuhe der Mädchen hämmerten gegen die Brüstung.
    »Ich hab so gerne hier gewohnt«, sagte Jane. »In Arbor Lane.« Sie sprach den Namen der Straße voller Sehnsucht aus, flüsterte dabei. Nachdem sich ihr ursprünglicher Groll über die Versetzung ihres Vaters nach Burnside gelegt hatte, war sie von Arbor Lane und ihrer neuen Umgebung fasziniert gewesen. Sie hatte erkannt, dass es sich um eine Traumstraße handelte, wie aus einer der alten Fernsehserien, die im Wiederholungsprogramm gesendet wurden. Gepflegte Häuser mit Fensterläden und Rosenstöcken, die Rasenflächen sorgfältig gestutzt und Vogelbäder auf dem Rasen vor dem Haus. Menschen, die einander grüßend zuwinkten; abendliche Grillfeste hinten im Garten; der Geruch von brennender Holzkohle oder Holzrauch, der aus den Kaminen aufstieg.
    Eine Gegend mit Kombis und Kleinbussen; Autos für die ganze Familie. Kinder aller Größen und Altersgruppen. Typische Kinder, manche normal, manche ekelhaft. Aber offenbar bekamen alle Kinder kurz vor der Pubertät eine Art Spritze für widerborstiges Verhalten verpasst. So wie ihr Bruder Artie mit seiner Leidenschaft für Videospiele. Er verbarrikadierte sich in seinem Zimmer und ließ es auf dem Bildschirm krachen und knallen, so dass ihr Vater sich veranlasst sah, die Spiele einzuschränken und ein
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