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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: James Herbert
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gelblicher Farbe, so- weit sich das in dem Halbdunkel bestimmen ließ. Er schien sich in der ganzen Erdspalte auszubreiten und sie auszufüllen. Bald erreichte er Holman und das Mädchen. Es fing an zu husten und wimmerte stärker, und Holman schnüffelte argwöhnisch. Der Nebel roch bitter und säuerlich, unangenehm aber nicht erstickend. Er richtete sich auf und überlegte. Konnte es Gas sein? Aus einem geborstenen Rohr? Er bezweifelte es, denn Gas war im allgemeinen farblos, während dies hier Substanz hatte. Es war mehr wie - nun, wie Nebel. Es hatte die gelbliche Färbung, einen leichten, aber deutlichen Geruch und die undurchsichtige Beschaffenheit. Wahrscheinlich Dämpfe, die durch die Eruption freigesetzt worden waren, nachdem sie vielleicht jahrhundertelang in der Tiefe gefangen gewesen waren.
    Der Nebel war ihm inzwischen über den Kopf gestiegen, und behinderte seine Sicht. Er ermahnte das Kind, sich fest an ihn zu klammern, und stand auf, um weiterzuklettern. Sobald er den langsam emporsteigenden Nebel hinter sich gelassen hatte, überkam ihn eine unvernünftige Angst. Aus unerklärlichem Grund war sein Schrecken vor dem Nebel größer als vor allem anderen, was er gerade durchgemacht hatte. Vielleicht lag es an dem langsamen Aufsteigen, nach- dem alles so schnell gegangen war und ihm kaum Zeit zum Überlegen geblieben war.
    Und sicherlich spielte die Furcht mit, ohne ausreichende Sicht an diesem bröckelnden Steilhang hängen zu bleiben und weder vor noch zurück zu können. Überdies schien dem Nebel etwas Übles, Unheilvolles anzuhaften. Er wußte nicht, warum, aber er erfüllte ihn mit einem unerklärlichen Gefühl schlimmer Vorbedeutung.
    »Hilfe! Ist jemand da oben? Kann jemand mich hören?« Er rief laut und mit fester Stimme, noch ohne Panik, merkte aber, wie sie allmählich in ihm aufstieg. Es kam keine Antwort. Vielleicht war es zu gefährlich, sich dem Rand der Spalte zu nähern. Vielleicht gab es dort oben ohnedies zu viele Verletzte.
    »Ich muß dich jetzt huckepack auf den Rücken nehmen, Kind, und du mußt mir die Arme um den Hals legen«, sagte er und hob mit einem Finger das Kinn des Mädchens, daß er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Wir müssen hinaufklettern.«
    »Ich — mein Bruder«, wimmerte sie. Sie schien ihn zwar nicht mehr zu fürchten, aber voll vertraute sie ihm nicht.
    »Ich weiß, liebes Mädchen, ich weiß. Aber deine Eltern werden oben auf dich warten.«
    Die Kleine brach wieder in Tränen aus und barg den Kopf an seiner Schulter. Die dichte Nebeldecke hatte sie wieder erreicht. Er schob das Mädchen auf seinen Rücken, zog den Gürtel aus den Schlaufen und band ihre Handgelenke unter seinem Kinn zusammen, steckte ihre Füße in seine Jackentaschen und kletterte weiter.
    Die Leute oben hörten den Hilferuf aus der Erdspalte, die das Dorf verwüstet hatte. Sie hatten angenommen, daß je- der, der dort hineingestürzt war, tot sein müsse, doch nun flößte ihnen der Klang einer Stimme neue Hoffnung ein, und sie sahen eine Möglichkeit, jemanden zu retten. Der Polizeibeamte, dessen Kinder man schon verloren geglaubt hatte, wurde an einem Seil über den Rand der Spalte hinuntergelassen. Er wollte nicht aufgeben. Er hatte die Trümmer und die einsturzgefährdeten, halb zusammengebrochenen Häuser durchsucht, seine Kinder aber noch nicht gefunden.
    Als sie ihn jetzt nach kaum fünf Minuten wieder herauf- zogen, hielt er ein bewußtloses kleines Mädchen in den Armen. Er legte sie auf den Boden, damit der alte tüchtige Landarzt sich ihrer annehmen konnte, küßte sie und schämte sich nicht seiner Tränen, dann ließ er sich wieder in die Spalte abseilen. Als sie ihn diesmal heraufzogen, hatte er einen Mann gepackt. Einen Mann, der von Kopf bis Fuß mit Staub und Erde bedeckt war, der schrie und unverständliches Zeug hervorsprudelte und von vier Männern festgehalten und daran gehindert werden mußte, zurückzulaufen und sich in die nebelerfüllte schwarze Tiefe zu werfen. Einen Mann, der den Verstand verloren hatte.
    Die Dorfbewohner sahen den Nebel aus der Erdspalte steigen. Er floß nicht über die Ränder hinaus, um sich zu verteilen, sondern stieg als dichte, gelbliche, ziemlich klar begrenzte Wolke, deren Mitte von schwachem Lichtschein erhellt schien — oder war es nur die durchscheinende Son- ne? — hoch empor. Bald erinnerte die Form der Wolke an einen stark verkleinerten Atompilz. Sie war bald vergessen, als der Wind sie davontrug; nicht auflöste, sondern sie in
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