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Unheil ueber Oxford

Unheil ueber Oxford

Titel: Unheil ueber Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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jemanden?«
    »Ich denke mal drüber nach. Vielleicht fällt mir jemand ein.«
    Emma legte auf und fuhr fort, Papiere in zugehörige Hefter einzuordnen. Nach fünf Minuten gab sie es auf und machte sich eine Tasse zuckersüßen Kaffee, zu dem sie ein halbes Päckchen Schokoladenplätzchen verspeiste. Das Baby wachte auf. Sie teilte den letzten Keks mit ihm, dann packte sie eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine. In einer Viertelstunde musste sie die älteren Kinder aus dem Hort abholen.

    Faith Beeton saß auf dem altmodisch grün und weiß gestreiften Sofa in ihrem Wohnzimmer und sah sich um. Sechs Monate nach ihrem Einzug hatte sie endlich die Grundausstattung an Möbeln beisammen; an den Fenstern hingen Gardinen, auf dem Boden lagen Teppiche, und die Wohnung begann, behaglich auszusehen. Noch waren zwei Kisten Bücher auszupacken, doch in ihren Bücherregalen fand sich kein freier Platz mehr. Wahrscheinlich würde sie nie ausreichend Bücherregale haben, ganz gleich, wie viele sie noch kaufen mochte. Obwohl Faith absolut nicht singen konnte – ihre falschen Töne ließen jedem musikalischen Menschen die Haare zu Berge stehen – sang sie in ihren eigenen vier Wänden mit Begeisterung. »Home, sweet home.« Endlich war sie daheim. Es war das erste Heim, das ihr selbst gehörte, und sehr, sehr verschieden von dem Ort, an dem sie ihre Kindheit verbracht hatte.
    Sie sah sich nach dem Buch um, in dem sie zuletzt gelesen hatte. Sidneys Arcadia . Sie wollte sich noch einige Notizen zu dem Werk machen, dessen interessantes Gemisch aus unterschiedlichen Gattungen Shakespeares Tragödien beeinflusst hatte; danach würde sie sich wieder ihren Farbmustern widmen. Faith ging die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, das sie in den Farben eines stürmischen Sonnenuntergangs gestaltet hatte: warmes Grau, kombiniert mit einem dunklen, rauchigen Blau, aufgehellt von korallenroten und feurigen Akzenten. Vor allem die Beleuchtung gefiel ihr. Sie war ausreichend hell, ohne allzu viel zu enthüllen; genau wie sie es mochte. Sie legte einen zinnoberroten Seidenschal um ihren Hals, verknotete ihn locker und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut wirkte noch fahler als gewöhnlich. Sie nahm Arcadia vom Nachttisch und zupfte die Tagesdecke sehr ordentlich zurecht. Jetzt war alles wieder so, wie es sein sollte. Beinahe hätte sie einen schweren Fehler gemacht. Aber sie hatte ihn gerade noch rechtzeitig wieder ausbügeln können.
    Faith suchte das nächste Zimmer auf. Der Makler hatte es als zweites Schlafzimmer bezeichnet, doch sie hatte sofort gewusst, dass sie es als Arbeitszimmer einrichten würde. Der Schreibtisch mit Computer und Drucker stand am Fenster, das Telefon auf dem Fensterbrett; es gab einen kleinen Aktenschrank, ansonsten wurden sämtliche Wände von überquellenden Bücherregalen eingenommen. Sie hatte es geschafft. Ein wenig später als andere Leute vielleicht, aber schließlich hatte sie auch erst spät mit dem Studium begonnen. Zunächst hatte sie Mühe gehabt, mit den Achtzehnjährigen Schritt zu halten, doch bald schon genoss sie das Vergnügen, sie aus dem Feld zu schlagen. Und jetzt hatte sie einen dreijährigen Lehrauftrag an einem Oxforder College in der Tasche.
    An den Wänden fehlten noch Bilder, doch die würde sie nach und nach erwerben – sobald sie wusste, was von ihr erwartet wurde. Vielleicht würde sie nach und nach auch ihren eigenen Geschmack kennen lernen. Nachdem ihre Persönlichkeit so viele Jahre hindurch unterdrückt worden war, würde sie ihm Raum für einen Schössling oder gar eine bescheidene Blüte gestatten. Reproduktionen oder Originale?, überlegte sie.
    Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Tagträume.
    »Hallo?«
    »Hier spricht Emma Dolby. Dr. Beeton, ich brauche Ihre Hilfe.«
    Ihr Tonfall war zu süßlich, um ihr zu glauben. »Tatsächlich? Wieso?«, erkundigte sich Faith und widerstand der Versuchung, sich von Emma beim Vornamen nennen zu lassen.
    »Sie sind doch sicher über den vierzehntägigen Workshop ›Geschlecht und Gattung‹ informiert«, begann Emma vorsichtig.
    »Ich habe davon gehört. Der Name ist ausgesprochen intelligent gewählt«, sagte Faith.
    »Danke. Jetzt hat mir leider einer unserer Tutoren, Dr. Happle, ein Fax geschickt, dass er unvorhergesehenerweise in die Türkei reisen muss und sich nicht in der Lage sieht, seine Seminare abzuhalten.«
    »Der gute Timothy«, säuselte Faith. »Wie schlau von ihm, unerwartete Ereignisse während seiner Abwesenheit
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