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Unguad

Unguad

Titel: Unguad
Autoren: Ingrid Werner
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Parodie auf ihn,
dachte Fanni.
    Der Ankömmling war klein und
rundlich und sah mehr nach gemütlichem Opa als nach Bergkraxler aus. Seine
Brille war vom Atemdunst angelaufen. Als er das Plateau erreichte, nahm er sie
ab und schwenkte sie an einem ihrer Drahtbügel hin und her, damit sie wieder
klar wurde.
    Während er mit kurzsichtigen
Augen in die Runde blinzelte, entdeckte ihn Rudi.
    »He, Krautdoktor!«, schrie er.
»Hast du es auch schon mitgekriegt?«
    Der Bundhosen-Opa setzte die
Brille wieder auf, wandte sich der Gruppe um die beiden Bergwächter zu und sah
Rudi geradezu flehentlich an.
    »Annabel«, keuchte er.
    Rudi zeigte auf den Felsblock
hinter dem Geländer und schüttelte mit feierlich-ernster Miene den Kopf.
    Der Opa schrie auf und stürzte
auf die Planke zu, als wolle er darüberhechten. Sepp erwischte ihn am
Lodenjanker.
    »Der Annabel kann keiner mehr
helfen«, sagte er. »Wir nicht und du auch nicht – ganz egal, wie viel Kräutersaft
du ihr brauen würdest.«
    Fanni hörte den Opa schluchzen.
    Ich sollte absteigen und nach
Eisenstein zurückfahren, dachte sie. Es ist schon spät. Um sieben Uhr wird im
Festsaal das Abendessen aufgetragen. Es fällt auf, wenn ich nicht da bin.
    Aber sie blieb sitzen.
    Fanni blieb sitzen und starrte
den Waldboden zu ihren Füßen an, bis sie Sprudel neben sich spürte. Er legte
den Arm um ihre Schultern.
    »Hofer wird gleich da sein«,
sagte er.
    Hofer? Im nächsten Augenblick
fiel es ihr ein. Hofer war Dienststellenleiter der Polizeiinspektion
Regen-Zwiesel. Sprudel und Hofer kannten sich aus gemeinsamen Jahren bei der
Polizeidirektion in Straubing. Kurz nachdem Sprudel in Pension gegangen war,
war Hofer zum Chef in Regen befördert worden. Er war es, der Sprudel eingeladen
hatte, in seiner Dienststelle eine Vortragsreihe zum Thema Verhörmethoden zu
halten. Und Sprudel war angereist.
    Wegen einer Vortragsreihe!
    Fanni musste lächeln.
    Im vergangenen Jahr war Sprudel
bereits dreimal von Levanto an der italienischen Riviera, wo er seit seiner
Pensionierung lebte, nach Niederbayern gereist.
    Aber nicht wegen einer
Vortragsreihe, sondern wegen ihr.
    Seit sie beide zusammen den Mord
an Mirza Klein in Erlenweiler aufgeklärt hatten, verband Fanni und Sprudel eine
enge Freundschaft. Tatsächlich war es viel mehr als eine Freundschaft.
    Fanni wusste, dass Sprudel mit
weit geöffneten Armen in der Tür seines Hauses in Levanto stehen würde, falls
sie sich je dazu entschließen sollte, ihren Mann Hans Rot zu verlassen, um fast
tausend Kilometer von ihren Kindern und Enkeln entfernt zu leben. Was Fanni
nicht recht wusste, war, ob es klug wäre, die ihr so wertvolle Freundschaft mit
Sprudel zugunsten einer Beziehung mit ihm aufzugeben.
    Die Entscheidung darüber musste
aufgeschoben werden – auf morgen, auf nächste Woche, nächstes Jahr.
    Im Moment zählte nur, dass
Sprudel hier war und mindestens zehn Tage bleiben würde.
    Er hatte sich im Hotel Zur
Waldbahn in Zwiesel ein Zimmer gemietet. Fanni hatte lauthals lachen müssen,
als er es ihr erzählte. »Keine fünfzig Meter von deinem Hotel entfernt steht
das Zwiesler Gymnasium«, hatte sie gerufen, »dort hab ich meine Abiturprüfungen
geschrieben. Nicht besonders gut, zugegeben.«
    »Ich muss gehen«, sagte Fanni
jetzt.
    Sprudel nickte. »Ich rede mit
Hofer. Er wird nicht auf einer persönlichen Aussage von dir bestehen.«
    Fanni erhob sich, und Sprudel
stand ebenfalls auf. Er begleitete sie das felsige Stück bis zur Hütte
hinunter, drückte sie zum Abschied an sich, ließ sie aber sogleich wieder los.
    Fanni wohnte an diesem
Wochenende ebenfalls in einem Hotel.
    Der Schützenverein von Bayrisch
Eisenstein feierte Jubiläum und hatte seine wichtigsten Kontrahenten dazu
eingeladen. Auf dem Programm standen für den Samstagabend ein kalt-warmes
Abendbüfett zu den Klängen einer Tanzkapelle, für den Sonntag diverse
Wettkämpfe und ein abschließendes Abendessen.
    Schon vor Wochen hatte Hans Rot
begonnen, Fanni zum Mitkommen zu bewegen. Zuerst hatte sie schlichtweg
abgelehnt. Hans war ihr daraufhin mit allen möglichen Argumenten auf die Nerven
gefallen. Zu guter Letzt hatte er ihr sogar zugestanden, während der Wettkämpfe
am Sonntag ihrer eigenen Wege zu gehen. »Du kannst den ganzen Tag machen, was
du willst – lesen, wandern, in der Sonne liegen. Erst zum Abendessen musst du
im Festsaal erscheinen.«
    Fanni hatte Nein gesagt.
    Als Hans Rot zwei Tage später
noch mal damit anfing, hatte sie wieder – und sehr
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