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Unguad

Unguad

Titel: Unguad
Autoren: Ingrid Werner
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einen Ton von sich zu geben, holte Frau Imhoff einen
Schlüsselbund aus ihrer Tasche, ging zu dem Büroschrank, sperrte auf und holte
die gewünschten Unterlagen. Bald türmten sich abgegriffene Hängeordner auf dem
Schreibtisch.
    »Brauchen Sie sonst noch was?«
    Die Kommissarin griff nach dem ersten Ordner und deutete auf den
Stuhl vor dem Tisch. »Bleiben Sie doch einen Augenblick hier.«
    Frau Imhoff setzte sich widerwillig auf die ihrer Meinung nach
falsche Seite des Tisches. Kommissarin Langenscheidt ließ sie nicht aus den
Augen.
    »Der vorläufige Obduktionsbericht geht von Fremdeinwirkung aus, das
heißt, wir ermitteln jetzt in einem Mordfall.«
    Die Heimleiterin rief entsetzt: »Das darf doch nicht wahr sein! Wer
sollte Elvira umgebracht haben?«
    »Das wollte ich Sie gerade fragen. Können Sie sich vorstellen, wer
ein Motiv gehabt hätte, Frau Böhm zu ermorden?«
    »Um Gottes willen! Nein!«
    Neun Uhr dreißig
    Der Morgentrubel war vorbei, die Kinder waren in der Schule, ich
war mit dem Hund draußen gewesen und hatte so einige Sachen in meinem Haushalt
erledigt. Jetzt fuhr ich ins Altenheim. Der Mord an der Elvira – ich persönlich
ging jetzt mal von einem Mord aus – ließ mir keine Ruhe. Vielleicht würde ich
ja was Brauchbares herauskriegen.
    Polizeifahrzeuge standen vor dem Haus Sonnenhügel. Anscheinend waren
die Frau Kommissarin und ihre Kollegen ebenfalls am Ermitteln. Außerdem parkte
der schmutzige Lastwagen eines Sanitärbetriebes direkt vor der Haustür. Die
Autotüren waren weit geöffnet, sodass ich im Vorbeigehen automatisch einen
Blick hineinwarf. Auf der Ladefläche lagen Rohre in allen Größen und Längen,
Kabel, Dämmmaterial, Werkzeugkästen, Leitern und für mich undefinierbare Dinge
in schönster Unordnung. Ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren kramte darin
herum. Anscheinend der Lehrling. Vor dem Wagen stand ein Brackel von einem Mann
mit imposantem Schnauzer im blauen Arbeitsoverall. Er führte mit Frau Imhoff
ein lautstarkes Gespräch, besser gesagt: sie mit ihm. Allerdings schaute sie etwas
derangiert aus. An den eh schon dünnen Nerven der Imhoff zerrte wohl die
Kombination von Polizeipräsenz und Reparaturfall. Mit vom Wind zerzausten
Haaren und hektischen Flecken im Gesicht, die sich mit dem Rot ihres
Lippenstiftes bissen, redete sie auf den Installateur ein. Der blickte auf die
Rohrzange in seinen schwieligen Händen, schwieg und ließ die Tirade
offensichtlich an sich abperlen. Als Handwerker musste man ein dickes Fell
haben.
    Ich murmelte einen Gruß, der von den beiden nicht beachtet wurde,
und schaute, dass ich weiterkam. Das schrille Geschimpfe der Heimleiterin
interessierte mich nicht im Mindesten.
    Mein Weg führte mich als Erstes zu meinen Eltern. Mein Vater saß
bereits im Lehnstuhl an seinem üblichen Platz am Fenster. Dort schaute er oft
stundenlang hinaus. Es war aber auch eine wunderschöne Aussicht. In der Ferne
die Alpen. Bei Föhn schien man fast die Skifahrer auf den Schneehängen
ausmachen zu können. Darunter die »Skyline« der nahe gelegenen Therme Bad
Griesbach. Das Heim war in den Siebzigern auf einem sonnenbestrahlten Hügel an
den Ortsrand von Kirchmünster gebaut worden. Daher auch der Name, Haus
Sonnenhügel. Senkte man den Blick noch weiter hinab, konnte man auf den
Feldwegen die Hundebesitzer beim Spazierengehen oder Reiter beim Galoppieren
beobachten. Ausgedehnte Löwenzahnwiesen erstreckten sich von einer kleinen, mit
Bäumen umsäumten Kapelle bis zum Holzzaun des Heimgrundstücks. Daran schloss
sich der zweckmäßig angelegte Garten des Heimes mit den Ruhebänken im Schatten
des Apfelbaumes an.
    Heute jedoch genoss er nicht sein Panorama, sondern hatte den Kopf
zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Meine Mutter löste daneben am Tisch
Kreuzworträtsel. Als ich zögernd in der Tür stehen blieb, schaute sie auf und
winkte mich zu sich.
    »Komm nur. Er schläft nicht.«
    Ich begrüßte meine Mutter und zog mir dann einen der alten Stühle
mit den Streichholzbeinen heran, auf die ich mich immer vorsichtiger
niederließ, je älter sie und je schwerer ich wurde. Mein Vater hob seine linke
Hand, damit ich sie drücken konnte.
    »Ich schlafe nicht, kislány . Ich denke
nach.«
    »Sicherlich über dasselbe wie ich, oder?« Er öffnete seine
hellgrauen Augen, musterte mich und schloss sie wieder. »Ja, wahrscheinlich, kislány .«
    »Und bist du schon zu einem Ergebnis gekommen? Ich hab mir nämlich
die halbe Nacht um die Ohren geschlagen
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