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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
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liebsten dadurch zu entledigen, daß er sie als null und nichtig erklärt, und schon gar mußte eine solche Warnung vor billigem Optimismus unwillkommen wirken angesichts eines im Nebenzimmer bereits splendid aufgedeckten Soupers.
    Unerwarteterweise trat nun der Maria Theresienritter als Sekundant mir zur Seite, gerade er, in dem mein falscher Instinkt einen Gegner vermutet hatte. Ja, es sei blanker Unsinn, erklärte er heftig, das Wollen oder Nichtwollen des Menschenmaterials heutzutage noch einkalkulieren zu wollen, denn im nächsten Kriege sei die eigentliche Leistung den Maschinen zugeteilt und die Menschen nur mehr zu einer Art Bestandteil derselben degradiert. Schon im letzten Kriege sei er nicht vielen im Feld begegnet, die den Krieg klar bejaht oder klar verneint hätten. Die meisten seien hineingerollt wie eine Staubwolke mit dem Wind und hätten dann im großen Wirbel einfach dringesteckt, jeder einzelne willenlos herumgeschüttelt wie eine Erbse im großen Sack. In summa seien vielleicht sogar mehr Menschen in den Krieg hineingeflüchtet als aus ihm herausgeflüchtet.
    Ich hörte überrascht zu, interessiert vor allem durch die Heftigkeit, mit der er jetzt weitersprach. »Geben wir uns keiner Täuschung hin. Wenn man heute in irgendeinem Land für einen völlig exotischen Krieg, für einen Krieg in Polynesien oder in einem Winkel Afrikas, die Werbetrommel aufstellte, würden Tausende und Hunderttausende zulaufen, ohne recht zu wissen warum, vielleicht nur aus Lust an dem Weglaufen vor sich selbst oder aus unerfreulichen Verhältnissen. Den faktischen Widerstand gegen einen Krieg kann ich aber kaum höher als null bewerten. Widerstand eines Einzelnen gegen eine Organisation erfordert immer einen viel höheren Mut als das bloße Sich-mitreißen-lassen, nämlich Individualmut, und diese Spezies stirbt in unseren Zeiten fortschreitender Organisation und Mechanisierung aus. Ich bin im Krieg fast ausschließlich dem Phänomen des Massenmuts, des Muts innerhalb von Reih und Glied, begegnet, und wer diesen Begriff näher unter die Lupe nimmt, entdeckt ganz seltsame Komponenten: viel Eitelkeit, viel Leichtsinn und sogar Langeweile, vor allem aber viel Furcht – jawohl, Furcht vor dem Zurückbleiben, Furcht vor dem Verspottetwerden, Furcht vor dem Alleinhandeln und Furcht vor allem, sich in Opposition zu setzen zu dem Massenelan der andern; die meisten von jenen, die im Feld als die Tapfersten galten, habe ich persönlich und in Zivil dann als recht fragwürdige Helden gekannt. – Bitte«, sagte er, höflich zu dem Gastgeber gewandt, der ein schiefes Gesicht schnitt, »ich nehme mich selber keineswegs aus.«
    Die Art, wie er sprach, gefiel mir, und ich hatte Lust, auf ihn zuzugehen, aber da rief die Hausdame schon zum Abendessen, und weit voneinander placiert, kamen wir nicht mehr ins Gespräch. Erst bei dem allgemeinen Aufbruch gerieten wir bei der Garderobe zusammen.
    »Ich glaube«, lächelte er mir zu, »unser gemeinsamer Protektor hat uns indirekt schon vorgestellt.«
    Ich lächelte gleichfalls. »Und gründlich dazu.«
    »Er hat wahrscheinlich dick aufgetragen, was für ein Achilles ich bin, und sich meinen Orden ausgiebig über die Weste gehängt?«
    »So ungefähr.«
    »Ja, auf den ist er verflucht stolz – ähnlich wie auf Ihre Bücher.«
    »Komischer Kauz! Aber es gibt üblere. Übrigens – wenn's Ihnen recht ist, könnten wir noch ein Stück zusammen gehen.«
    Wir gingen. Er wandte sich mit einem Mal zu mir zu:
    »Glauben Sie mir, ich mache wirklich keine Phrasen, wenn ich sage, daß ich jahrelang unter nichts mehr gelitten habe als unter diesem für meinen Geschmack allzu auffälligen Maria Theresienorden. Das heißt, um ehrlich zu sein – als ich ihn damals im Feld draußen umgehängt kriegte, ging mir's natürlich zunächst durch und durch. Schließlich ist man zum Soldaten auferzogen worden und hat in der Kadettenschule von diesem Orden wie von einer Legende gehört, von diesem einen Orden, der vielleicht nur auf ein Dutzend in jedem Kriege fällt, also tatsächlich so wie ein Stern vom Himmel herunter. Ja, für einen Burschen von achtundzwanzig Jahren bedeutet so etwas schon allerhand. Man steht mit einem Mal vor der ganzen Front, alles staunt auf, wie einem plötzlich etwas an der Brust blitzt wie eine kleine Sonne, und der Kaiser, die unnahbare Majestät, schüttelt einem beglückwünschend die Hand. Aber sehen Sie: diese Auszeichnung hatte doch nur Sinn und Gültigkeit in unserer
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