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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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Neutronenstern ist kein Leben möglich. In seinem Innern ebenso wenig.«
    »Ich sage dir doch, Hades ist kein Neutronenstern.« Und dann erklärte sie, wie es zu alledem gekommen war. Die Matrix selbst schuf mit ungeheuren Mengen entarteter Materie, die in der Kruste zirkulierten, eine Gravitationsblase, in der Khouri überleben konnte. Diese Materie mochte ein Nebenprodukt der Rechenvorgänge sein, aber das war nicht gesichert. Jedenfalls lenkte der Fluss wie eine Streulinse die Schwerkraft von ihr ab, während zugleich ebenso gewaltige Kräfte die Wände stützten und verhinderten, dass sie mit einer Wucht knapp unter Lichtgeschwindigkeit in sich zusammenstürzten.
    »Was ist mit dir?«
    »Ich bin anders als du«, sagte Pascale. »Mein Körper ist nur ein Körper, ähnlich wie eine Marionette. Er besteht aus der gleichen nuklearen Materie wie die Kruste. Die Neutronen werden von Strange Quarks zusammengehalten, nur deshalb explodiere ich nicht unter meinem eigenen Quantendruck.« Sie fasste sich an die Stirn. »Aber ich denke nicht selbst. Das spielt sich nur um dich herum ab, innerhalb der Matrix. Du musst entschuldigen – ich will dir wirklich nicht zu nahe treten –, aber ich würde mich zu Tode langweilen, wenn ich nur mit dir sprechen müsste, ohne irgendetwas anderes zu tun. Wie gesagt, der Unterschied zwischen unseren Rechengeschwindigkeiten ist enorm. Du nimmst mir die Bemerkung nicht übel, oder? Sie ist nicht persönlich gemeint, das begreifst du hoffentlich.«
    »Schon gut«, sagte Khouri. »Mir ginge es sicher genauso.«
    Der Gang weitete sich und mündete in ein vollständig eingerichtetes Büro, das Arbeitszimmer eines Wissenschaftlers. Das Mobiliar war in irgendeinem Stil der letzten fünf- bis sechshundert Jahre gehalten. Die vorherrschende Farbe war Braun, Altersbraun: braun waren die Holzregale an den Wänden und die Rücken der antiken Papierbücher, die darin standen, braun war auch der Mahagonischreibtisch, und goldbraun glänzten die uralten wissenschaftlichen Instrumente am Rand der polierten Platte. Wo keine Regale die Wände bedeckten, standen Holzvitrinen mit vergilbten Skeletten; Alien-Skeletten, die man auf den ersten Blick auch für Fossilien von Flugsauriern oder großen, ausgestorbenen Urvögeln halten konnte, falls man nicht zu sehr auf die Größe des Schädels achtete, der einst ein sehr viel größeres Gehirn beherbergt haben musste.
    Auch zeitgemäße Gerätschaften waren vorhanden; Scanner, hochmoderne Schneideinstrumente, Ständer mit Eidetika und holografischen Speichertäfelchen. In einer Ecke stand ein neuerer Servomat, untätig und mit leicht gesenktem Kopf, wie ein treuer Diener, der im Stehen ein Nickerchen hielt.
    An einer Wand sah man durch mehrere Sprossenfenster auf eine Wüstenlandschaft mit Tafelbergen und bizarren Felsformationen hinaus, durch die der Wind pfiff. Alles lag im rötlichen Schein einer Abendsonne, die bereits im Begriff war, hinter dem bizarren Horizont zu verschwinden.
    Am Schreibtisch saß Sylveste. Bei ihrem Eintreten erhob er sich und sah sie an, als hätten sie ihn aus tiefer Konzentration gerissen.
    Khouri sah ihm zum ersten Mal persönlich – oder was man hier darunter zu verstehen hatte – in die Augen. Es waren menschliche Augen.
    Im ersten Moment schien er verärgert über die Störung, doch dann wurden seine Züge weicher, und ein leichtes Lächeln spielte über sein Gesicht. »Wie schön, dass Sie sich die Zeit für einen Besuch bei uns genommen haben«, sagte er. »Ich hoffe, Pascale hat Ihnen alles erklärt, was Sie wissen wollten.«
    »Das meiste.« Khouri ging ein paar Schritte weiter. Die Kopie des Arbeitszimmers beeindruckte durch ihre Präzision. Eine Simulation von dieser Qualität hatte sie noch nie gesehen. Und doch – der Gedanke war ebenso beeindruckend wie beängstigend – bestand jedes einzelne Objekt in diesem Raum aus nuklearer Materie von so hoher Dichte, dass unter normalen Umständen schon der kleinste Briefbeschwerer auf diesem Schreibtisch über den halben Raum hinweg einen tödlichen Schwerkraftsog hätte ausüben müssen. »Aber nicht alles. Wie kommen Sie hierher?«
    »Pascale hat sicher erwähnt, dass es noch einen zweiten Zugang zur Matrix gibt.« Er streckte ihr die flachen Hände entgegen. »Diesen Weg habe ich gefunden. Das ist alles. Und ich bin ihn gegangen.«
    »Und was wurde aus Ihrem…«
    »Meinem wahren Ich?« Das Lächeln hatte jetzt eine gewisse Selbstironie, als amüsiere er sich über einen
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