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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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über den Himmel, aber sie waren so verschwommen, als befänden sie sich hinter einer dicken Linse, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Khouri stellte fest, dass sie sich bewegen konnte, rappelte sich auf und wäre fast hintenüber gefallen.
    Sie trug einen Raumanzug.
    Im Spinnenraum hatte sie noch keinen getragen. Es war ein Anzug des gleichen Typs, wie sie ihn beim Einsatz auf Resurgam benutzt und wie ihn wohl auch Sylveste mit nach Cerberus genommen hatte. Wie war das möglich? Wenn sie das alles träumte, dann war es ein Traum, wie sie ihn noch nie erlebt hatte, denn sie konnte die Widersprüche hinterfragen, ohne damit das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen.
    Sie befand sich auf einer Ebene. Der Boden leuchtete wie flüssiges Metall, das gerade so weit abgekühlt war, dass es nicht mehr in den Augen schmerzte, und war so flach wie ein Strand bei Ebbe. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie Strukturen; nicht irgendwelche Muster, sondern systematisch verschlungene Linien wie auf einem Perserteppich. Zwischen den einzelnen Musterbereichen befanden sich andere Muster, bis sich die Ordnung in mikroskopisch kleine Einheiten aufspaltete, ein Prozess, der sich wahrscheinlich bis auf die subatomare und die Quantenebene hinunter fortsetzte. Und alles war in Bewegung, alles verschwamm und wurde wieder scharf, blieb keinen Augenblick lang stabil. Irgendwann wurde Khouri fast übel von dem Anblick, und sie richtete ihre Augen auf den Horizont.
    Der schien ganz nahe zu sein.
    Sie machte sich auf den Weg. Der flimmernde Boden knirschte unter ihren Schritten. Die Muster veränderten sich, glatte Trittsteine entstanden, auf die sie ihre Füße setzen konnte.
    Etwas lag vor ihr, überragte den gewölbten Horizont.
    Vor der wilden Sternenszenerie zeichnete sich ein kleiner Hügel ab, ein Sockel. Als sie näher heranging, bemerkte sie eine Bewegung. Der Sockel sah aus wie der Eingang zu einer Untergrundbahn, drei niedrige Mauern umschlossen eine Reihe von Stufen, die nach unten führten, hinein in die Tiefen der Welt.
    Was sich bewegte, war eine Gestalt. Eine Frau tauchte aus den Tiefen auf, schleppte sich mit großem Kraftaufwand und viel Geduld die Stufen herauf, als wollte sie zum ersten Mal Morgenluft atmen. Sie trug keinen Raumanzug, sondern war genauso gekleidet wie beim letzten Mal, als Khouri mit ihr zusammen gewesen war.
    Die Frau war Pascale Sylveste.
    »Ich warte schon so lange«, schallte ihre Stimme durch den schwarzen, luftleeren Raum.
    »Pascale?«
    »Ja«, bestätigte sie und schränkte sofort ein: »Gewissermaßen jedenfalls. Du meine Güte; das ist nicht so leicht zu erklären – und dabei hatte ich so viel Zeit zum Proben…«
    »Was ist geschehen, Pascale?« Khouri wollte nicht fragen, warum sie keinen Raumanzug trug, warum sie nicht tot war, das wäre taktlos gewesen. »Wo sind wir?«
    »Hast du es noch nicht erraten?«
    »Ich muss dich leider enttäuschen.«
    Pascale lächelte. »Du bist auf Hades. Erinnerst du dich? Der Neutronenstern, der uns angezogen hat. Nun, es war keiner. Kein Neutronenstern, meine ich.«
    »Wir sind auf Hades?«
    »Ganz richtig. Das hättest du wohl nicht erwartet?«
    »Nein, das kann man wohl sagen.«
    »Ich bin ebenso lange hier wie du«, sagte Pascale. »Das heißt, nur ein paar Stunden. Aber ich habe die Zeit unter der Kruste verbracht und dort geht alles etwas schneller.
    Deshalb scheint es mir, als wäre sehr viel mehr Zeit vergangen als nur ein paar Stunden.«
    »Wie viel mehr?«
    »Ein paar Jahrzehnte vielleicht – obwohl in gewisser Hinsicht die Zeit da unten eigentlich gar nicht vergeht.«
    Khouri nickte, als leuchte ihr das vollkommen ein. »Pascale… ich glaube, du musst mir erklären…«
    »Gute Idee. Das machen wir auf dem Weg nach unten.«
    »Auf dem Weg wohin?«
    Pascale deutete auf die Treppe, die unter die kirschrote Ebene führte, und winkte einladend, als bitte sie eine Nachbarin auf einen Cocktail in ihre Wohnung.
    »Ins Innere«, sagte Pascale. »In die Matrix.«
 
    Der Tod ließ noch immer auf sich warten.
    Im Lauf der nächsten Stunde beobachtete Volyova mit dem Zoom-Overlay ihres Raumanzugs, wie der Brückenkopf in sich zusammensank wie ein Gefäß aus zu weichem Ton und allmählich in der Kruste versickerte. Er hatte den Kampf gegen Cerberus schließlich doch verloren und wurde nun verdaut.
    Zu früh; zu früh.
    Das Unrecht nagte an ihr. Auch wenn sie selbst dem Tod geweiht sein mochte, sie wollte nicht zusehen müssen, wie eines ihrer
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