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Underground

Titel: Underground
Autoren: Kat Richardson
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Schichten schmutziger Kleidung. Eines seiner Beine bestand nur noch aus einem Stumpf, der in der Mitte des Oberschenkels endete.
    Entsetzt wich ich einige Schritte zurück. »Mann, Quinton … Er muss von einem Zug erfasst worden sein.« Ich hatte schon einige Tote gesehen, aber der Anblick dieses Mannes schockierte mich mehr als üblich. Ich gab es nicht gerne zu, aber irgendetwas stimmte hier nicht, und das machte mich nervös. Am liebsten wäre ich auf der Stelle umgedreht und hätte den Tunnel so schnell wie möglich wieder verlassen.
    Quinton schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Nirgendwo ist Blut zu sehen. Und wenn du dir die Wunde genauer ansiehst … Sie sieht irgendwie so aus … Na ja, als ob jemand daran genagt hätte.«
    Obwohl ich es eigentlich nicht wollte, trat ich einen Schritt auf die Leiche zu und betrachtete sie. Das Licht der Taschenlampe war ziemlich schwach, aber trotzdem konnte ich den abgenagten Stumpf des einen Beines erkennen. Obwohl es schwierig war, die schmutzige Kleidung
genau zu begutachten, schien Quinton recht zu haben. Es war tatsächlich kein Blut zu erkennen.
    Der Mann stank nach Dreck und Rauch. Aber lange konnte er noch nicht tot sein. Selbst wenn man einmal davon absah, dass es momentan sehr kalt und hier im Tunnel dunkel war und die Bahnangestellten außerdem bestimmt nicht auf die zahlreichen Obdachlosen im Bahnhof achteten, so war es doch wahrscheinlich, dass ihn jemand gefunden hätte, wenn er hier länger als einen Tag gelegen hätte. Er war zudem von einem grauen Schleier umgeben, der sich eng an ihn schmiegte und dessen Enden in dem schwarzen Loch verschwanden.
    Ich trat einen Schritt näher, um einen Blick in das Loch zu werfen. Jetzt packte mich doch die Neugier, die für meinen Beruf so wichtig ist. Die Ränder des Lochs schimmerten seltsam hell. Ein gelblich-weißes Licht schien mir aus dem Grau entgegen. Obwohl die Energieschicht, die auf der Leiche lag, angemessen schwarz war – schwarz für den Tod, wie ich dachte -, waren die Fäden, die in das Loch führten, doch grau und sahen so weich aus wie Angorawolle.
    Obwohl ich mich ein wenig ekelte, streckte ich die Hand aus, um zwischen meinen Fingern ein Stück Faden zu zerreiben. Für mich fühlte sich das Grau meist eiskalt, lebendig und wie unter Strom an. Doch diesmal schien ich Baumwolle zu berühren. Sonst spürte ich nichts. Mit einem Finger betastete ich die hell strahlenden Ränder des Lochs und merkte, wie etwas leicht kribbelte, als ob ein Wurm über meine Haut kröche. Ich versuchte erneut einen Blick in das Loch zu werfen, doch weit konnte ich nicht sehen, da die Leiche im Weg lag.
    »Man kann von hier bis in den Keller des Gebäudes auf
der anderen Seite gelangen«, erklärte Quinton, der mich neugierig beobachtete.
    Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. »Woher weißt du das?«
    Er wandte sich ab und starrte auf den Toten. »Ich bin hineingekrochen.«
    »Verstehe«, sagte ich und richtete mich wieder auf. »Jetzt möchte ich aber doch wissen, wie du ihn gefunden hast. Man kann nicht gerade behaupten, dass man zufällig hier vorbeikommt.«
    Quinton antwortete nicht.
    Ich seufzte und dachte daran, wie mir Will am Vormittag die Leviten gelesen hatte. »Ich sollte besser die Polizei rufen.«
    »Es wäre mir lieber, wenn du das noch nicht tun würdest.«
    »Warum?«
    Auf einmal war ein fernes Grollen zu hören. Der Kies unter unseren Füßen begann zu vibrieren.
    »Ein Zug! Los!«
    Quinton packte mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her, während er zum Ausgang rannte.
    Wir stürzten aus dem Tunnel und pressten uns an die Wand, und nur wenige Sekunden später raste laut tutend ein Güterzug an uns vorbei. Etwas Blasses flog durch die Luft und landete nur einen knappen Meter von uns entfernt auf dem Kies. Es war ein Arm.
    Quintons Augen weiteten sich, und er sah für einen Moment so aus, als ob er sich übergeben müsste. Auch ich würgte, schaffte es aber nach wenigen Sekunden, wieder ruhiger zu atmen. Der abgetrennte Arm, der vor dem Great-Northern-Tunnel lag, sah wirklich schrecklich aus.
Aber es hätte nicht geholfen, wenn wir uns beide übergeben hätten.
    »Das reicht«, sagte ich und zog mein Handy aus der Hosentasche. »Ich rufe jetzt die Cops.«
    Quinton packte mich am Arm. Er war schweißüberströmt, auch wenn mir das in der kalten Luft geradezu unglaublich erschien. »Nein! Noch nicht. Bitte, Harper.«
    Ich schüttelte seine Hand ab und starrte ihn ungläubig an. »Und warum
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