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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner
Autoren: Dirk Bernemann
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Heimpersonal so dressiert worden, und durch diesen frühkindlichen Stress habe ich einen Zahnputzzwang entwickelt. Trotz sonstiger vollkommener Verkommenheit.
     
    Ich hing dann zwei Jahre mit Punks rum. Obdachlose bunte Jugendliche. Schnorren. Klauen. Dann saufen, kiffen oder schnüffeln. Mein Kopf, mein Bewusstsein betäubt. Das Draußen-Sein bedeutete eine riesige Freiheit. Ich war ein guter Schnorrer. Erfolgreich im Nehmen. Sozialstaatliches Bekommen war ja nicht drin. Also der direkte Weg auf der Straße. Und ich merkte, dass geheuchelte Freundlichkeit einem Bierdosen einbrachte. Sehr oft wurde ich aber auch beleidigt oder zum Arbeiten geschickt oder ins KZ gewünscht.
     
    Stress mit Bullen und Faschos gab's auch oft. Platzverweise von den Grünen und ein paar aufs Maul von den Braunen. Die Präsenz der Nazibande machte auf mich Eindruck. Scheiß auf Politik, aber die Frisuren waren geil und auch das Outfit fand ich super. Da sah alles so sauber aus, und ich sehnte mich nach Sauberkeit.
     
    Wollte hygienische Richtlinien für mich. Das Chaos in meinem Kopf stellte mich auf harte Proben. Weg vom Buntschmuddel, war dann meine Entscheidung, denn ich brauchte gewaschene Alternativen, dachte ich. Und diese Alternative hatte sich gewaschen. Hinein in den deutschen Geist.
     
    Ich entfernte mich also vom Punklager. Ging einfach nicht mehr zu den Treffpunkten, ignorierte aufgebaute Kontakte und Freundschaften. Suchte stattdessen Kontakte bei den Neonazis. Das war leichter, als gedacht. Die waren ja überall. Die haben mich ja fast gesucht. Mit dem Anschluss an die Neonazibande hatte ich auch ein wenig Erfolg im Dasein. Verbunden mit einer deutschen Identität, die mir an und für sich scheißegal war, aber ich stand auf die Kameradschaft und verstand sie. Mein Aufgenommen-Werden war für mich ein soziales Fest. Akzeptanz sondergleichen. Ihnen war egal, woher ich komme.
     
    Man besorgte mir Klamotten, Bücher, die ich nicht verstand, und einen Rasierapparat für die Frisur. Beziehungsweise war es ein Apparat gegen die Frisur. Außerdem bekam ich Wohnrecht in einem Gebäude, wo viele von uns kleinen Neonazis gezüchtet wurden. Die kamen von überall und alle waren damit so zufrieden wie ich. Ein Musterbeispiel an Jugendarbeit. Die Neonazis kümmerten sich um mich und meine Belange wie Eltern, die an mich glauben.
     
    Man wollte mir diese politische Meinung aufzwingen, und da ich bis dato keine solche hatte, nahm ich diese dankend an. Ich gewann 'ne Menge Feinde dazu: Ausländer, Juden, Kapitalisten, Hippies, Behinderte, schweinesystemverteidigende Polizisten, Linksradikale, Penner und sonstiges Gesindel, das nicht ins deutsche Weltbild passte. Ich schwenkte auf Demos 'ne Reichskriegsflagge, grüßte mit gestrecktem Arm irgendeinen Führer und war froh, wenn meine Kameraden mir Bier rüberwarfen und ich keine Sachen mehr gefragt wurde, von denen ich eh keine Ahnung hatte. Zusammenstehen. Alle miteinander. Mit einem einzigen Gedanken. Es ist wirklich faszinierend, wenn über hundert Gehirne gleichzeitig einen einzigen Gedanken denken.
     
    «Sieg Heil», «Maul halten», «Aufs Maul» und «Bier rüber» waren zu dieser Zeit meine wichtigsten und vor allem akzeptiertesten angewendeten Sprachfetzen. Ich war gut in dem, was ich tat, und bekam die notwendige Anerkennung, die mich aufrecht hielt. Mittlerweile war ich dann siebzehn geworden in dieser Gruppe. Ich war ein gepflegtes Arschloch mit Kurzhaarfrisur und Aggressionen fremdbestimmter Richtung. Nazischläger. Na und? Hauptsache, ich bin irgendwer. Irgendwas für irgendwen zu sein, ist zu schwierig geworden, aber überhaupt irgendwer zu sein ist auch gut. Fühlt sich gut an. Wie geputzte Zähne.
     
    In dieser Zeit tötete ich einen Menschen. Und viele verletzte ich willentlich. Man wird ja auch mal angegriffen und muss sich dann wehren. Das habe ich gelernt, weil ich ja einer von ganz unten bin. Und dann noch nach unten treten zu können, ist ja wohl die Erfüllung schlechthin. Bislang gab es niemand ‹unter mir›. Nur 'ne Menge über mir und irgendwas neben mir, was mich anekelte, weil es mir zu ähnlich war.
     
    Meine Leiche im mentalen Keller entstand bei einer Massenprügelei. Ein schlafender Türke neben dem Bahnhof. Wir waren sieben. Sein Kopf danach nicht als solcher wiederzuerkennen. Ich glaube, ich gab ihm den entscheidenden Schädel zerteilenden Schlag. Eine Eisenstange in meiner Hand. Ich weiß, wie es klingt, wenn ein Schädel aufgeht, und das war so
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