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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme?
Autoren: Eva Prawitt
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am Tag zuvor war und ich ganz schön außer Puste geriet. Also legte ich eine Gesprächspause ein und hörte den Männern zu, die sich bestens verstanden. Schade, dass wir uns schon nach zwei Stunden wieder trennten.
    Pit und ich machten auf der Höhe auf einer von alten Kastanien beschatteten Wiese eine Apfelpause. Aber Christoph wollte weiter. Sein Ziel war Bruma, immerhin ein Weg von mindestens 36 Kilometern, von dem er noch nicht mal ein Drittel hinter sich hatte, obwohl es schon Mittag war. Pit und ich allerdings glaubten, Zeit zum Trödeln zu haben, und genossen Sonne und Schatten und das duftig frische Brot, das ich an einem vorüberkommenden Bäckerauto erstand und das wir zusammen mit Schokolade wegmümmelten.
    In den Ort Betanzos hinein ging es wieder sehr steil bergab. Aber das Städtchen fanden wir bezaubernd mit seinen mittelalterlich anmutenden Häusern und weiträumigen, fröhlich belebten Plätzen. In einer Bar direkt am Fluss Mandeo, den wir über die alte Brücke Ponte Vella überquerten, genehmigten wir uns mal wieder unseren geliebten café con leche und benutzten die bisher witzigste Toilette auf dem ganzen Camino: ein winziges, holzgetäfeltes Kämmerchen, kaum höher als ich selbst und obendrein mit einer Deckenschräge ausgestattet, unter die eine wackelige Kloschüssel montiert war. Die Schiebetür konnte man nur notdürftig mit einem Haken verschließen, wobei aber trotzdem ein fingerdicker Spalt offen blieb. Das Gefühl intimer Sicherheit kam so natürlich nicht auf. Aber was soll’s? Wir hatten schon schlechter gepinkelt, zum Beispiel in Brennnesseln oder mitten in Gestrüpp und Dickicht, das sich pieksend gegen unsere Übergriffe wehrte.
    Hinter der Stadtmauer führte uns die Rua Pratairos (Silberschmiedestraße) steil bergauf mitten auf den Platz der Gebrüder Garcia und hinein in die schöne Altstadt. Betanzos war ehemals Hauptstadt einer der sieben Provinzen des Königreiches Galizien und kann noch heute mit herrschaftlichen, spätmittelalterlichen Straßen und Plätzen aufwarten, ebenso wie mit beeindruckenden barocken und gotischen Kirchen, Klöstern und Kapellen. Wir besichtigten aber nur die Kirche Santo Domingo, die besonders durch ihren Glockenturm aus grauen Natursteinquadern neben der strahlend weiß getünchten Kirchenfassade auffällt, und kauften anschließend Wasser und Bonbons ein. Auch aus der Stadt heraus mussten wir steil bergauf steigen, wurden aber wieder einmal mit einem tollen Panoramablick belohnt.
    Das schmale Heftchen, das wir in der Stadtverwaltung von Ferrol als einziges Informationsmaterial über den Camino Inglés erhalten hatten, klärte uns über den weiteren Weg auf: »Man verlässt den Stadtkern und setzt die Wanderung in Richtung von Coto, Campoeiro und Xan Rozo fort, um schließlich zur Gemeinde Abogondo zu gelangen...«, und so weiter und so weiter. Nichts als unzählige Ortsnamen bis hin zu dem Satz, der endlich das Ziel aufzeigte: »Nach der Überquerung einer Brücke erreicht man die Kirche von Presedo, setzt die Wanderung durch ein Unterholzgebiet fort und passiert den Ort Leiro.«
    Mir waren die Bezeichnungen der Ortschaften so was von egal. Für mich gingen Wald und Felder und Siedlungen namenlos ineinander über, Asphalt rollte unter meinen Füßen hinweg. Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu, und meine Kraft schwand mit jedem Schritt. Schon Kilometer vor Leiro war ich einfach nur kaputt. Kein Wunder, der erste Menstruationstag ist immer der schlimmste. Dafür hatte ich schon ganz gut ausgehalten. Und wer sagt auch, dass wir es bis zu einer Pilgerherberge schaffen mussten? Seit drei Uhr hielten wir Ausschau nach einem hostal. Aber die Einheimischen zuckten auf unsere Frage: »Donde esta una habitación ?« bloß mit den Schultern. Drückten wir uns so unverständlich aus, oder gab es hier tatsächlich nichts? Nein, in diesen Käffern fand sich nicht mal eine Scheune, in der wir unsere Schlafsäcke hätten ausrollen können. Ich malte mir schon aus, wie es wäre, sich ein Plätzchen im Unterholz am Wegesrand zu suchen, wie es wäre, kein Dach über dem Kopf zu haben, keine Behausung. In Deutschland, weit, weit entfernt von hier, haben wir ein hübsches Haus. Jetzt war es so, als hätten wir es nicht. Und was, wenn das tatsächlich so wäre? Zurück in Deutschland könnten wir es verkaufen und sehen, was dann passiert.
    Pit unterbrach meine Gedanken.
    »Bis Leiro kann es nicht mehr weit sein«, tröstete er mich. »Laut Ferroler Touri-Info
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