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...und was machen wir am Nachmittag? Satirisches über ein kleines Land

...und was machen wir am Nachmittag? Satirisches über ein kleines Land

Titel: ...und was machen wir am Nachmittag? Satirisches über ein kleines Land
Autoren: Ephraim Kishon
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leben? Nun, wie vielen? 650000? Gut, aber das ist das Äußerste.

Feuersturm
    Wenn es in Israel heiß ist, dann weiß man erst, was Hitze ist. Dafür sorgt unser trockener, brennendheißer Wüstenwind, eine Art von Superschirokko, der nur ein Gegenstück hat: das Innere eines Panzers, in dem die Besatzung auf ihre Widerstandskraft gegen Feuereinwirkung getestet wird.
    Dieser Wind heißt auf arabisch »Chamsin«, und das heißt »fünfzig«, weil er genau nach Vorschrift 50 Tage lang bläst. Und wenn er bläst, bekommt man keine Luft, kann sich kaum auf den Beinen halten und fühlt das Verdorren der Nervenstränge beinahe plastisch.
    Erfahrene Unterweltler legen ihre Verbrechen gern auf Chamsin-Tage, weil der Chamsin zwar unerträglich, aber als mildernder Umstand höchst angenehm ist.

Der Schweiß der Edlen
    »Weib«, sagte ich, »vor zehn Minuten ist mir der Kugelschreiber hinuntergefallen.« Die beste Ehefrau von allen lag auf der Couch und blinzelte mühsam unter ihren Eiswürfeln hervor.
    »Heb ihn auf«, murmelte sie. »Den Kugelschreiber.«
    »Unmöglich. Zu heiß.«
    Ich weiß nicht, auf welchem Breitengrad unsere winzigkleine Wohnung liegt. Es kann nicht sehr weit vom Äquator sein. Im Schlafzimmer haben wir 42 Grad, an der Nordwand unserer schattigen Küche 48 Grad. Um Mitternacht. Chamsin.
    Seit den frühen Morgenstunden liege ich da, bäuchlings, alle Glieder von mir gestreckt, wie ein verendendes Tier. Nur daß verendende Tiere kein weißes Papier vor sich haben, auf das sie etwas schreiben sollen. Ich, leider, soll. Aber wie soll ich? Um den Kugelschreiber aufzuheben, müßte ich mich hinunterbeugen, in einem Winkel von 45 ° (45 Grad!), und dann würde der Eisbeutel von meinem Hinterkopf zu Boden fallen, und das wäre das Ende.
    Vorsichtig bewegte ich mein linkes Bein, um den Kugelschreiber mit meinen Zehen zu erwischen. Umsonst.
    Meine Verzweiflung wuchs. Das war heute schon der fünfte Tag, an dem ich das weiße Papier vor mir anstarrte, und ich hatte nur den einen Satz zustande gebracht: »Um Himmels willen, diese Hitze!«
    Eine solche Hitze hatte es wirklich noch nie gegeben. Nie. An einem bestimmten Tag des Jahres 1936 war es fast so heiß wie heute, aber nicht so feucht. Im Jahre 1957 wurde eine fast ebenso große Feuchtigkeit gemessen, dafür aber war es weniger heiß. Nur ein einziges Mal, 1977, war es genauso heiß und genauso feucht. Allerdings in Afrika.
    Afrika. Was für ein sonderbares Wort. Meine Zunge versuchte es nachzuformen, war aber zu schwerfällig. Afri-ka. Was soll das? A-f-r-i-k-a.
    »Weib, was ist Afrika?«
    »Afrika«, flüsterte sie. »Arfika ...«
    Jawohl, sie hat »Arfika« gesagt, ganz deutlich. Vielleicht ist das sogar richtig. Arfika. Warum nicht? Mir soll’s gleich sein. Mir ist alles gleich. Schon seit Tagen. Schon seit Beginn dieser noch nicht dagewesenen Hitzewelle sitze oder liege ich, genauer: bleibe ich sitzen oder liegen, wo ich gerade hinsinke, und habe keinen anderen Wunsch, als mich nicht zu bewegen. Wenn ich in dieser ganzen Zeit öfter als dreimal gezwinkert habe, war’s viel. In meinem Kopf regt sich das absolute Nichts, sofern ein absolutes Nichts sich regen kann. Ich kann es jedenfalls nicht. Aber ich wollte doch etwas sagen. Richtig: Diese Hitze. Um Himmels willen, diese Hitze.
    Das Telefon läutet. Ein wahres Wunder, daß das Ding noch funktioniert. Mühsam strecke ich meine Hand aus.
    »Hallo«, sagt eine heisere Stimme, die ich als die unseres Wohnungsnachbarn Felix Seelig erkenne. »Ich bin auf dem Dizengoff-Boulevard. Es ist entsetzlich. Kann ich mit meiner Frau sprechen?«
    »Sicher. Du brauchst nur deine eigene Nummer zu wählen.«
    »Daran habe ich gar nicht gedacht. Danke.«
    Ich hörte noch das dumpfe Geräusch eines fallenden Körpers, dann war es still. Um so besser. Das lange Gespräch hat mich ermüdet.
    Mit einer Handbewegung deutete ich meiner Ehegattin an, daß Felix Seelig allem Anschein nach tot sei. »Erna verständigen«, hauchte sie. Im Sommer neigen wir zu kurzen Sätzen. Und zur Lektüre von Krimis. Da überläuft uns doch wenigstens ab und zu ein kalter Schauer.
    Was wollten wir? Ach ja. Wir wollten die Witwe Seelig benachrichtigen, daß ihr Mann bei der Verteidigung des Dizengoff-Boulevards gegen die Hitze gefallen war.
    Die Witwe Seelig wohnt zwei Wände weit entfernt. Wie soll man sie erreichen?
    Mit übermenschlicher Anstrengung erhob ich mich und zog meinen gepeinigten Körper hinter mir her, bis zur Wohnungstür. Durch
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