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Und verfluche ihre Sünden

Und verfluche ihre Sünden

Titel: Und verfluche ihre Sünden
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Hadley kroch aus dem Schatten des Ahorns, die Sonne versengte ihren Rücken wie ein heißes Bügeleisen und presste die Falten aus ihrem Hemd. An der Ecke des Gebäudes hielt sie inne, brachte ihre Waffe in eine dilettantische Schussposition und spähte um die Hauswand.
    Abblätternde weiße Schindeln. Eine ächzende Klimaanlage, aus der Wasser tropfte. Fünf Stufen, die auf eine schmale überdachte Veranda führten. Ein verrostetes Rad, das die neben der Hintertür angebrachte Wäscheleine stützte … die Hintertür, halb geöffnet zum Raum dahinter.
    »Hallo, Mama«, flüsterte sie. Wenn der Chief den Typ im Vorderzimmer weiter ablenkte, konnte sie hineinschleichen und versuchen, die Kinder herauszuholen. Es gab nicht viel Deckung – der Boden fiel vom Haus weg ab, die Wäscheleine verlief rund fünfzig Meter über offenen Rasen, bis sie an einer einsamen Birke endete. Aber falls es ihr gelang, die Kinder die Veranda hinunter und um die Ecke zu schaffen, konnten sie im Schutz des Fundaments außerhalb der Schusslinie bleiben.
    Sie kroch vorwärts, einen halben Meter, einen, dann richtete sie sich auf, um die Tür besser sehen zu können.
    Hadley starrte in die Augen einer toten Frau. Sie lag halb im Inneren, halb draußen, ihr Mund noch geöffnet von ihren letzten Worten. Blut tränkte ihr T-Shirt und sammelte sich unter einem Plastikwäschekorb voller Handtücher zu einer Lache.
    Oh, mein Gott.
    Hadley ließ sich wieder zu Boden fallen und kniff die Augen zusammen wie ein Kind, das sich vor dem Schwarzen Mann versteckt. Sie schluckte mit trockenem Mund, bekämpfte die aufsteigende Übelkeit. Ich werde nicht kotzen. Mit geschlossenen Augen registrierte sie die Dinge, die sie schon eher hätte bemerken müssen: den stechenden Kupfergeruch des Bluts, den Gestank menschlicher Exkremente, das Summen der Schmeißfliegen.
    Sie hörte das Timbre von Van Alstynes Stimme in der hitzegeschwängerten Luft schweben. Ich muss dem Chief Bescheid geben. Natürlich würde sie sich bewegen müssen, was sie nicht wollte, nicht jetzt, vielleicht nie wieder. Sie wollte nichts mit einer weiteren Leiche zu tun haben. Die wievielte war das jetzt? Die vierte? Fünfte?
    Eine weitere Erkenntnis traf sie. Das Versprechen des Chiefs von dreißig Tagen Knast – von Anfang an eine Lüge, der Typ hatte auf einen Polizisten geschossen, um Himmels willen – würde diesen Mann nicht überzeugen. Er würde sich nicht ergeben. Er war bereits auf dem Weg nach Clinton. Er hatte nichts zu verlieren.
    Hadley drehte sich um, blieb dabei so dicht wie möglich am Boden, robbte an der Hauswand entlang zurück. Der Chief war auf den Mann mit der Waffe konzentriert, der brüllte, man hätte ihn abgezockt und er wäre nicht mehr fähig, irgendjemandem zu vertrauen. Hadley ignorierte ihn. Sie streckte die Hand in die Luft, um jemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Chief ließ keine Sekunde das Fenster aus den Augen, hinter dem der Schütze kauerte, doch hinter dem Heck des Streifenwagens tauchte Kevin Flynns Kopf auf, und er nickte ein Mal. Bis zu ihrem Eintritt war er der unerfahrenste Officer des MKPD gewesen, und seine permanenten Versuche, freundlich und hilfsbreit zu sein, linderten nicht im mindesten das bittere Gefühl, zu jemandem aufschließen zu müssen, der acht Jahre jünger war als sie. Sie hoffte, dass er gut in Zeichensprache war – so nah am Haus konnte sie auf gar keinen Fall das Funkgerät benutzen –, als sie die Waffe neben sich ins Gras legte.
    Als Erstes wies sie mit dem Daumen zur Rückseite des Farmhauses: da hinten. Sie nahm beide Hände, um die allgemein bekannte weibliche Figur zu formen, raus, rein, raus: eine Frau. Sie fuhr mit dem Finger über ihre Kehle: tot. Sie formte eine Hand zur Pistole und »schoss« sich in die Brust.
    Flynn schüttelte den Kopf, als ob er seinen Verstand klären müsste, dann nickte er wieder. Sein roter Schopf verschwand, nur um kurze Zeit später hinter dem Chief aufzutauchen. Der Chief hörte sich an, was immer Flynn ihm zu sagen hatte. Seine Augen wurden schmal, die Haut über seinen Wangenknochen schien sich zu straffen. Er murmelte Flynn etwas zu, der in einen der Streifenwagen schlüpfte und nach dem Mikro griff.
    »Was ist da los?«, fragte der Schütze. »Was will er mit dem Funkgerät?«
    »Ich habe ihn gerade angewiesen, die Staatspolizei aufzuhalten.« Van Alstyne hob die Hand. »Ich will, dass wir beide genug Zeit haben, uns eine Lösung auszudenken. Mit einem Haufen
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