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Und tot bist du

Und tot bist du

Titel: Und tot bist du
Autoren: Mary Higgins Clark
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derartiges niemandem gegenüber zu äußern. Wollen Sie mir das versprechen?
    Und ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, in Zukunft ein wenig vorsichtiger mit dem Scotch umzugehen. Offenbar tut er Ihnen nicht gut.«
    Thomas Shipman stand hinter den Vorhängen und blickte seinem beleibten Anwalt nach, der versuchte, den Ansturm der Reporter abzuwehren. Wie ein einsamer Christ, auf den Löwen losgelassen werden, dachte er. Nur daß die Raubtiere es in diesem Fall nicht auf das Blut des Rechtsanwalts Hart abgesehen hatten, sondern auf sein eigenes.
    Nur fühlte er sich keineswegs zum Märtyrer berufen.
    Zum Glück hatte er Lillian West, seine Haushälterin, erreicht und sie gebeten, heute nicht zu kommen. Schon am vergangenen Abend, als er die Anklageschrift erhalten hatte, hatte er gewußt, daß die Journalisten bald sein Haus umlagern würden. Fernsehkameras würden verfolgen, wie er in Handschellen abgeführt wurde. Und nach der erkennungsdienstlichen Behandlung und der Entscheidung des Haftrichters würden dieselben Kameras seine wenig triumphale Rückkehr nach Hause festhalten. Der Weg vom Auto zur Haustür war wie ein Spießrutenlauf gewesen.
    Das alles wollte er seiner Haushälterin ersparen.
    Allerdings kam er sich in dem stillen, verlassenen Haus ziemlich einsam vor. Er erinnerte sich, wie er und Constance das Anwesen vor dreißig Jahren gekauft hatten.
    Sie waren von Manhattan hierhergefahren, hatten im Bird and Bottle in der Nähe des Bear Mountain zu Mittag gegessen und wollten dann in die Stadt zurückkehren.
    Spontan hatten sie beschlossen, den Weg durch die malerischen Straßen von Tarrytown zu nehmen, und dort hatten sie das Schild mit der Aufschrift ›zu verkaufen‹ entdeckt. Es stand vor einem Haus aus der Jahrhundertwende, das den Blick auf den Hudson und die Palisade freigab.
    Und wir haben die nächsten achtundzwanzig Jahre, zwei Monate und zehn Tage glücklich hier gelebt, dachte Shipman. »Ach, Constance, wenn es doch noch einmal achtundzwanzig Jahre hätten sein können«, seufzte er auf dem Weg in die Küche. Er beschloß, daß ihm Kaffee jetzt besser tun würde als Scotch.
    Das Haus war für beide immer etwas Besonderes gewesen. Selbst während seiner Zeit als Außenminister, als er viel hatte reisen müssen, hatten sie es geschafft, hin und wieder ein gemeinsames Wochenende hier zu verbringen und die Seele baumeln zu lassen. Dann, eines Morgens vor zwei Jahren, hatte Constance gesagt:
    »Tom, ich fühle mich nicht wohl.« Und wenige Minuten später war sie tot.
    Zwanzig Stunden Arbeit am Tag hatten ihm geholfen, seine Trauer ein wenig zu betäuben. Gott sei Dank, daß ich meinen Posten hatte, um mich abzulenken, dachte er und lächelte, als ihm der Spitzname einfiel, den ihm die Presse verpaßt hatte: ›Der fliegende Minister‹. Aber es war nicht nur Beschäftigungstherapie. Henry und ich haben viel Gutes bewirkt. Wir haben Washington und das ganze Land in einem besseren Zustand hinterlassen, als unsere Vorgänger es uns übergeben hatten.
    In der Küche maß er sorgfältig Kaffeepulver und Wasser für vier Tassen ab. Na also, ich komme allein zurecht, schoß es ihm durch den Kopf. Zu dumm, daß ich mich nach Constances Tod nicht darauf besonnen habe. Doch dann habe ich Arabella kennengelernt. So tröstend, so verführerisch. Und jetzt ist sie tot.

    Er erinnerte sich an den Abend vor zwei Tagen. Was hatten sie in der Bibliothek zueinander gesagt? Undeutlich fiel ihm ein, daß er wütend auf sie gewesen war. Aber hatte ihn sein Zorn tatsächlich dazu getrieben, eine so schreckliche Gewalttat zu begehen? Und wie hatte er sie blutend auf dem Fußboden liegenlassen und sich ins Bett legen können? Er schüttelte den Kopf. Ihm war das alles unbegreiflich.
    Das Telefon klingelte. Aber Shipman starrte es nur an.
    Als das Läuten aufhörte, nahm er den Hörer ab und legte ihn neben den Apparat.
    Nachdem der Kaffee fertig war, schenkte er sich eine Tasse ein und trug sie mit zitternder Hand ins Wohnzimmer. Normalerweise hätte er sich in die Bibliothek in seinen großen Ledersessel gesetzt. Aber nicht heute. Er fragte sich, ob er es jemals wieder schaffen würde, diesen Raum zu betreten.
    Gerade hatte er sich niedergelassen, als er von draußen Geschrei hörte. Zwar campierten die Reporter noch immer vor seinem Haus, aber er konnte sich nicht vorstellen, was wohl der Anlaß für einen solchen Radau sein mochte.
    Doch noch ehe er die Vorhänge beiseitegeschoben hatte, um nach draußen zu spähen,
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