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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie
Autoren: Junot Díaz
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Mittagspause am Tischende mit ein paar Mädchen tuschelte, verdrückten meine Freunde und ich unsere miesen Sandwiches und fachsimpelten über die X-Men – damals waren die Geschichten noch halbwegs logisch –, und obwohl wir es nicht zugeben wollten, lag die schreckliche Wahrheit auf der Hand: alle echten Klassemädchen zogen Richtung Highschool, so wie die Motten zum Licht, und wir jüngeren Typen konnten daran nichts ändern. Meinen Freund José Negrón, alias Joe Black, traf es am schwersten, dass Nilda übergelaufen war, weil er sich ernsthaft Chancen bei ihr ausgerechnet hatte. Als sie frisch aus der Wohngruppe zurückgekommen war, hatte er im Bus ihre Hand gehalten, und obwohl sie danach mit anderen Typen losgezogen war, hatte er das nie vergessen.
    Drei Tage später war ich im Keller dabei, als sie es zum ersten Mal trieben. Bei diesem ersten Mal gab keiner der beiden einen Ton von sich.

    Sie waren den ganzen Sommer zusammen. Ich wüsste nicht mehr, dass wir irgendwas Besonderes unternommen hätten. Ich bin mit meiner armseligen Truppe zum Morgan Creek gepilgert, der nach Sickerwasser von der Müllkippe stank, und darin geschwommen; in dem Jahr fingen wir auch langsam ernsthaft mit Alk an, und Joe Black ließ aus dem Geheimvorrat seines Vaters ein paar Flaschen mitgehen, die wir auf den Schaukeln hinter den Häusern wegputzten. Wegen der Hitze und wegen dem, was ich oft in meiner Brust fühlte, hockte ich viel mit meinem Bruder und Nilda in der Bude. Rafa war ständig müde und blass, innerhalb von wenigen Tagen hatte er sich so verändert. Ich zog ihn gerne auf und sagte, Wie siehst du denn aus, du Weißbrot, und er meinte dann, Guck dich doch mal an, du hässlicher schwarzer Nigger. Er hatte keine Lust, was zu unternehmen, und außerdem war sein Auto jetzt wirklich kaputt, also saßen wir alle in der klimatisierten Wohnung und sahen fern. Rafa hatte beschlossen, das letzte Highschooljahr sausen zu lassen, und obwohl meine Mom todunglücklich war und mindestens fünfmal am Tag versuchte, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, redete er von nichts anderem. Die Schule war nie sein Ding gewesen, und nachdem mein Dad uns für seine Fünfundzwanzigjährige verlassen hatte, fand Rafa, er müsse kein Theater mehr spielen. Ich würde total gerne rumreisen, erzählte er uns. Mir Kalifornien ansehen, bevor es ins Meer rutscht. Kalifornien, meinte ich. Kalifornien, sagte er. Da könnte man sich echt mal blicken lassen. Ich würde da auch gerne hin, sagte Nilda, aber Rafa reagierte nicht. Er hatte die Augen geschlossen, und man sah ihm an, dass er Schmerzen hatte.
    Über unseren Vater sprachen wir selten. Ich war einfach froh, dass ich nicht mehr verprügelt wurde, aber zu Beginn der Letzten Großen Abwesenheit hatte ich meinen Bruder gefragt, wo er wohl sein mochte, und Rafa hatte gesagt, Interessiert mich einen Scheiß.
    Ende der Diskussion. Welt ohne Ende.
    Wenn wir vor lauter Langeweile gar nichts mit uns anzufangen wussten, taperten wir zum Freibad, wo wir umsonst reinkamen, weil Rafa mit einem der Rettungsschwimmer befreundet war. Ich ging schwimmen, Nilda drehte geschäftige Runden um den Pool, um sich in ihrem scharfen Bikini zu präsentieren, und Rafa lümmelte unter dem Sonnendach herum und sah sich alles an. Manchmal rief er mich zu sich, dann saßen wir eine Weile zusammen, und er schloss die Augen, während ich zusah, wie meine aschgrauen Beine trockneten, und dann schickte er mich wieder ins Wasser. Wenn Nilda genug herumgelaufen war und zu Rafa ging, kniete sie sich neben ihn, und er küsste sie endlos und ließ die Hände ihren ganzen Rücken auf und ab gleiten. Geht doch nichts über eine Fünfzehnjährige mit einem Hammerkörper, schienen diese Hände zu sagen, mir zumindest.
    Joe Black beobachtete sie ständig. Alter, murmelte er, die ist so geil, der würde ich den Arsch lecken und euch sogar davon erzählen.
    Vielleicht hätte ich sie für ein süßes Pärchen gehalten, wenn ich Rafa nicht gekannt hätte. Kann ja sein, dass er mit Nilda ganz enamorao wirkte, aber er hatte noch jede Menge andere Mädchen am Start. Wie diese billige weiße Tussi aus Sayreville und diese morena aus dem Nieuw Amsterdam Village, die auch bei uns übernachtete und Geräusche machte wie ein Güterzug, wenn sie es trieben. Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß, aber ich weiß noch, wie ihre Dauerwelle im Schein unseres Nachtlichts geschimmert hat.
    Im August schmiss Rafa seinen Job in der Teppichfabrik. Ich bin so
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