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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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Schnabelhieben erwidert hatte, bis man ihn in eine Abstellkammer sperrte. Dort hatte er, dem Vernehmen nach, Akten besudelt und ungebührlich gelärmt. Andreas grinste. Wenigstens der Rabe ließ sich nicht unterkriegen. Abends endlich hatte Großvater Goldberg, der mit Moritz von Morungen erschien und seinem Enkel nur wortlos auf die Schulter klopfte, den Raben mitgenommen. Poe akzeptierte nur wenige Menschen, glücklicherweise gehörte der Großvater zu ihnen. Mit dem immerhin beruhigenden Gefühl, daß er sich nun vorläufig nur um sich selbst zu kümmern brauchte, schlief Andreas endlich ein. Im Einschlafen empfand er das wortlose Schulterklopfen seines Großvaters als unendlich wohltuend und viel hilfreicher denn Moritzens lärmende Redseligkeit.
    Und wen hatte der Hauptkommissar gemeint, als er Moritz grimmig anstarrte und sagte: »Schleppen Sie mir bloß nicht diesen widerwärtigen Fettwanst an«?

4. Kapitel
    An diesem sonnigen Samstagvormittag im Oktober saß Matzbach, friedlich schmausend und mit der Welt zufrieden, unter dem geöffneten Fenster im Wohnzimmer. Er trug einen teuren und häßlichen Morgenrock aus reiner Seide, knallgelb, und wackelte gelegentlich mit den Zehen. Ihm gegenüber, in dezenterem Morgengewand – blaßblau –, saß seine Freundin Ariane Binder, Besitzerin der Wohnung. Unter dem kurzen Blondhaar mit beginnender Versilberung war ihr Gesicht in den normalen Relationen der Einzelzüge nicht auszumachen, da sie hemmungslos lachte. Der Schwung des vollen Mundes wurde dadurch überdehnt, doch brachte es die leuchtenden Zähne zur Geltung. Die Wölbung der Brauen mochte übertrieben sein, dafür blitzten die grünen Augen. Ihre schlanken, schmucklosen Finger spielten mit einem schwarzen Zigarillo. Sie hatte ihr Frühstück bereits beendet. Matzbach berichtete mit vollem Mund von den ausgefallenen Zuschriften und seinen teilweise reichlich frechen oder bizarren Antworten. Er hatte die letzten Tage in Klausur verbracht und die nächsten beiden Folgen seiner Kolumne
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in einer namhaften Illustrierten fertiggestellt. Arianes Tochter Evelyn, angetan mit Jeans und T-Shirt, hatte schulfreien Samstag und litt an einem sozialen Schub. Sie wuselte in der Küche herum und bereitete die Köstlichkeiten, die der nach mehreren Tagen intensiver Arbeit ausgehungerte Baltasar schneller verzehrte, als sie herangeschafft wurden.
    Begonnen hatte er mit einem kleinen Filetsteak, garniert mit einem Spiegelei, Cornichons und einer Mischung aus zerschnittener Tomate und Zwiebelstückchen, scharf gebraten.
    Der zweite Gang des Frühstücks hatte bestanden aus drei sehr krossen Brötchen, dazu drei weichgekochte Eier; die Brötchen mit dick Butter und – in dieser Reihenfolge – Pfälzer Leberwurst, gekochtem Schinken und altem Gouda belegt. Dazu inzwischen etwas mehr als einen Liter Kaffee.
    Als Evelyn mit dem dritten Gang, einer Pfanne mit vier Rühreiern, Schinken und
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, den Raum betrat, klatschte Baltasar in die Hände.
    »Ach ja«, sagte er, »nach den Mühen der vergangenen Tage und den Fährnissen der letzten Nacht, hm, beginnen nun Gram und Ungemach von mir abzufallen. Fast fühle ich mich wieder wie ein Mensch.«
    Evelyn stellte die Pfanne auf einen Holzdeckel vor Baltasars Nase. »Reicht das zuerst mal, oder willst du noch mehr?«
    Baltasar ergriff einen Holzlöffel und begann, in der Pfanne herumzurühren. »Nein, nein, das reicht einstweilen.« Er schaufelte mit Macht in sich hinein.
    Ariane legte ihr Zigarillo in einen Aschenbecher. »Abgesehen von deiner Frechheit beim Beantworten von Herzenskümmernissen«, sagte sie lächelnd, »und bei der Verbindung der letzten Nacht mit Wörtern wie Fährnisse und Ungemach verwundert mich am meisten dein Fassungsvermögen.«
    Baltasar grinste; keine leichte Sache mit prallem Mund. Kaum verständlich sagte er: »Die Möglichkeiten des menschlichen Versagens sind zahllos und unüberschaubar. Wenigstens beim Essen kann man mir nichts vorwerfen. Ich betrachte das als eine erfreuliche Einschränkung der potentiellen Unfähigkeiten.«
    Als er sein Frühstück beendet hatte, lehnte Baltasar sich wohlig grunzend zurück, schnaufte und zündete sich eine seiner kurzen, schwarzen, stinkenden Zigarren an. »Ah ja«, sagte er in eine Rauchwolke hinein, »oh ho. Hm.«
    Ariane kicherte. »Mit anderen Worten, du fühlst dich wohl.«
    Baltasar brachte eine Art Lächeln zustande.
    »Und jetzt«, sagte Evelyn, »ein Punktstrahler auf
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