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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein
Autoren: Joerg Boehm
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über diesen einen Satz nach. Doch ganz gleich, wie sie ihn auch drehte und wendete, sie fand für sich keine plausible Erklärung, warum Charlotte seit dem Abend des Rosenballs vor fünfzehn Jahren verschwunden sein konnte.
    Bisher war Emma immer davon ausgegangen, dass Charlotte eine glückliche Kindheit verbracht hatte.
    Emma seufzte und dachte an Reinhold Nägele, der seine Tochter über alles geliebt und nichts unversucht gelassen hatte, ihr jeden nur erdenklichen Wunsch zu erfüllen.
    â€žAber vielleicht war es ja genau diese überschwängliche Liebe, vor der Charlotte geflohen ist“, überlegte Emma und ließ ihren Blick aus dem Wohnzimmerfenster schweifen. Der Himmel war in ein Einheitsgrau gefärbt. Auf den Äckern auf der anderen Straßenseite pickten einige Krähen unermüdlich nach den letzten Samen und Insekten, die der erste Frost noch verschont hatte.
    Aber mit wem konnte sie abgehauen sein und vor allem, wohin? Und gab es nicht vielleicht noch viel triftigere Gründe, warum sie alles, was sie scheinbar so liebte, plötzlich hinter sich ließ? Vielleicht hätte ich mich in den ganzen Jahren doch einmal bei ihr melden sollen. Dann hätte ich möglicherweise auch mitbekommen, wenn ihr etwas auf dem Herzen gelegen, sie Sorgen, Nöte, ja vielleicht sogar Ängste gehabt hatte, dachte Emma und versuchte, das aufkommende schlechte Gewissen mit einem kräftigen Schluck kalter Milch herunterzuspülen. Und doch war das bei Weitem nicht das Gleiche wie eine heiße Tasse Kakao.
    Doch sie hatte sich immer nur auf ihre Ausbildung und Karriere konzentriert. War es anfangs die Schule, die all ihre Zeit in Anspruch genommen hatte, so folgten nach dem Abitur das Studium und ihre Ausbildung zur Kriminalkommissarin, der sie ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. Schenken musste. Eine Zeit, in der kein Platz für lose Kontakte übrig war. Und wenn, dann habe ich sie vernachlässigt, dachte sie und tadelte sich im nächsten Augenblick für diesen Gedanken – auch wenn er hundertprozentig der Wahrheit entsprach.
    Aber jetzt bin ich hier und kann das alles wieder aufholen.
    â€žHoffentlich“, verbesserte sie sich. Denn, was wäre, wenn Charlotte nicht einfach bloß verschwunden ist? Wenn sie gar einem Verbrechen zum Opfer gefallen war? Gedankenverloren lehnte sie sich an die Spüle, während sie mit beiden Händen den großen, nur mit Milch gefüllten Becher umfasste und ihren Blick durch die Wohnung schweifen ließ.
    Aber was soll ihr schon geschehen sein, dachte sie und ermahnte sich, dass sie hier sei, um sich zu erholen. Denn nun hatte sie endlich Urlaub. Ruhe, Ruhe und nichts als Ruhe. Vor allem freute sie sich auf ausgedehnte Spaziergänge, lange DVD-Abende und gemütliche Lesestunden. Und eine verschwundene Charlotte ist in diesem Verwöhnprogramm nicht wirklich vorgesehen, dachte sie und wühlte dabei in ihrer Reisetasche nach einem dicken Pulli, einer Jeans und bequemen Schuhen, die sie, Gott sei Dank, gestern beim Packen noch schnell in ihre Reisetasche gestopft hatte.
    Nachdem sie sich geduscht, angezogen und die Haare unter einer dicken Wollmütze eingepackt hatte, machte sie sich auf zum Lädele, als ihr Roswitha Villinger im Flur über den Weg lief.
    â€žHallo Emma, herzlich Willkommen zurück. Wie geht es dir?“, fragte Roswitha Villinger und lächelte dabei über das ganze Gesicht. „Ich war gestern noch bei der Chorprobe, als du hier angekommen bist und mein Mann dir die Schlüssel für das Apartment gegeben hat. Es ist schön, dich nach so vielen Jahren wieder zu sehen.“
    Roswitha Villinger hatte dunkelblondes Haar, das ihr knapp über die Ohren reichte und etwas kraus war. Sie war leicht rundlich, ohne dabei unförmig oder gar dick zu wirken. Über einem leuchtend orangefarbenen Top trug sie eine geöffnete, langärmelige Bluse, in deren Muster sich die Farbe des Oberteils wiederfand, dazu eine dunkelblaue Jeans und offene Hausschuhe. Unter dem linken Arm hatte sie einen Wäschekorb geklemmt, der mit schmutzigen Socken, Hemden, Handtüchern und Bettwäsche gefüllt war.
    â€žDas freut mich – und vielen Dank, dass das mit der Wohnung noch geklappt hat“, sagte Emma und erinnerte sich an die Zeit zurück, als sie das erste Mal in Nöggenschwiel war und die gemütlich wirkende Frau vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen hatte. Damals
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