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Und keiner wird dich kennen

Und keiner wird dich kennen

Titel: Und keiner wird dich kennen
Autoren: Katja Brandis
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sie, und Elias’ Augen leuchten auf, als er seinen Drachen sieht und endlich wieder an sich drücken kann.
    Echt lieb von Stella, dass sie daran gedacht hat. Maja begleitet sie noch bis runter zur Haustür, dann umarmen sie sich zum Abschied. »Sag Bescheid, sobald du Zeit hast, ja?«, meint Stella, dann steigt sie wieder auf ihr Trekkingrad.
    Elias ist viel zu müde, um noch über das zu reden, was er erlebt hat. Maja liest ihm eine Gutenachtgeschichte vor, und Lila hält seine Hand, bis er endlich eingeschlafen ist.
    Dann sitzen sie beide im Wohnzimmer. Allein miteinander. Majas ganzer Körper ist angespannt. Was kommt jetzt? Immerhin, Lila wirkt nicht mehr wütend, nur noch erschöpft. Wahrscheinlich würden sie und Maja auf einen Fremden wirken wie zwei Soldatinnen, die sich gerade durch einen feindlichen Dschungel gekämpft haben. Völlig fertig, aber erleichtert darüber, dass sie es geschafft haben.
    »Er wird wieder Albträume haben«, sagt Lila, ihr Blick wandert zu Elias’ Zimmertür. »So wie früher, nur schlimmer wahrscheinlich.«
    Maja nickt. »Du suchst gleich einen Kinderpsychologen, oder? Einen, der ihm hilft, das zu verarbeiten.«
    Lila nickt, atmet tief durch. »Immerhin ... jetzt kann er halbwegs normal aufwachsen. Vielleicht wird er sich in ein paar Jahren kaum noch an all das erinnern.«
    »Ja«, sagt Maja. Wie schön das wäre, auch so einfach vergessen zu können. »Geht es dir auch so, kannst du es noch gar nicht richtig glauben? Dass er tot ist?«
    Ein eigenartiger Ausdruck steht in Lilas Augen. »Manchmal frage ich mich, ob jetzt irgendwer um ihn trauert. Seine Mutter? Ich weiß nicht mal, ob er noch eine hat.«
    »Wir haben jetzt wieder die Wahl, oder?«, fragt Maja vorsichtig. »Wo wir leben und wer wir sein wollen.«
    Lila wendet sich ihr zu, und zum ersten Mal seit Tagen hat Maja den Eindruck, dass ihre Mutter sie wirklich sieht . Ihr Blick ist nachdenklich und prüfend. »Du hast viel durchgemacht in den letzten Monaten, was? Ich glaube, mir ist das nicht wirklich klar gewesen. Wie furchtbar schwer das mit Lorenzo für dich war. Es ist so lange her, dass ich zuletzt verliebt war.«
    Maja nickt, in ihrer Kehle steckt ein großer Kloß.
    »Und wenn wir hierbleiben, dann ziehen wir um«, sagt Lila plötzlich und sieht aus, als würde sie jeden Moment mit der Faust auf den Tisch hauen. »Du brauchst ein eigenes Zimmer. Du und Elias zusammen ... es war klar, dass das auf Dauer nichts für euch ist.«
    Klingt fast zu schön, um wahr zu sein. »Aber ... willst du denn hierbleiben?«, meint Maja. »Wir können auch zurück nach Offenbach.«
    »Ich hänge nicht an Offenbach«, sagt ihre Mutter sofort. »Du entscheidest, okay? Ich richte mich nach dir. Willst du lieber hierbleiben?«
    Wow. Sie richtet sich nach mir . Maja ist so beeindruckt, dass ihr auf Anhieb keine Antwort einfällt. Sie ist unendlich erleichtert, dass ihre Mutter nicht mehr wütend auf sie zu sein scheint.
    In ihrem Kopf hat jemand eine Waage aufgestellt, fast kann Maja sie vor sich sehen: alt und schwer, vielleicht aus Bronze. Die beiden Schalen füllen sich schnell: Lorenzo ... Stella ... das Gymnasium hier ... diese kleine Stadt, die so viel grüner ist als das, was sie gewohnt ist ... ihre Freunde in Offenbach ... all ihre Sachen, ob sie die irgendwie wiederbekommen kann?
    »Lass mich erst mit Lorenzo reden, ja?«, meint Maja schließlich. Sie wird ihn nicht mehr aufgeben, auf keinen Fall. Es hängt auch von ihm ab, was sie tun wird.
    Lila nickt und auf einmal ist ihr Blick ganz weich. »Komm her«, sagt sie und streckt die Arme aus, öffnet sie für Maja.
    Und Maja schmiegt sich hinein.
    Beim Frühstück am nächsten Morgen wirkt Elias noch immer blass und dünn, aber schon deutlich munterer als zuvor. Nach einer halben Stunde in den Armen seiner Mama hat er vorerst genug gekuschelt und beginnt erst zaghaft, dann gierig, sich Cornflakes in den Mund zu schaufeln.
    »Gute Nachrichten«, sagt Maja fröhlich. »Wir brauchen uns jetzt nicht mehr zu verstecken und müssen niemandem mehr etwas vorspielen!«
    Doch Elias schaut sie nur verdutzt an. »Was denn vorspielen?«, fragt er und schüttet mit einem schnellen Seitenblick auf Lila noch einen Löffel Zucker über seine Cornflakes. Es kommen keine Proteste, heute darf er alles.
    Maja wird klar, dass »Finn« für ihren Bruder längst keine Rolle mehr ist. Das ist einfach er selbst. Sie sollte jetzt endlich anfangen, ihn auch in Gedanken Finn zu nennen, das ist sie
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