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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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ihr spürte.
    Sogar jetzt, da sie einem fremden Priester gegenüberkniete und gewiss lange darüber nachgedacht hatte, wie und was sie sagen würde, schien das, was sie sagte, vom Rest ihres Wesens losgelöst. Schien ohne Wirkung zu bleiben auf die pulsierende Lebendigkeit ihres Atems, ihrer Sprache, ihrer ununterdrückbaren Gesten.
    Sie war durchdrungen von diesem Gefühl, von dem sie sich so tapfer zu distanzieren versuchte. Sie war so, sie war eine Frau, die irdisch, körperlich liebte – und egal, wie sehr sie sich zügeln würde und damit abmühen, sich zu verbiegen: Sie würde genau so bleiben.
    Nein, seine spontane Diagnose stand: Dieses Mädchen passte nicht hierher. Sie war keine Nonne.
    Das zu entscheiden, war ein spezieller Zeitvertreib Arnos – im Grunde bereits seit damals, nachdem er selbst gewissenhaft seine Berufung zum Priester geprüft hatte: Er hatte einen gewissen Blick dafür – und den mit den Jahren hier stetig weiter ausgebaut – welche Neuankömmlinge für das gottgeweihte Leben geeignet waren und welche nicht. Und bisher hatte er sich noch nie getäuscht.
    So rasch wie jetzt, angesichts der jungen Mathilda von Finkenschlag, hatte sich sein Urteil jedoch nur in einem Fall eingestellt: bei Katharina Greulich. Die war noch immer hier. Eine Weile hatte sie wöchentlich bei der Beichte ihr Unglück abgeladen – nur um es Woche für Woche erneut hervorzubringen. Mittlerweile hatte sie resigniert und ertrug ihr Schicksal weitgehend allein. Ganz anders als ...
    Er musste sich auf die junge Frau vor ihm konzentrieren, die ihn bereits mehr als erwartungsvoll durch das engmaschige Gitter anblickte.
    „Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Liebe gegeben“, rezitierte er schnell. „Den gemeinen Leuten, damit sie sich fortpflanzen und mit ihrer Früchte Arbeit ihre Nachkommen ernähren – und uns Ordensleuten, damit wir diese Liebe umwandeln in die Liebe zu Gott. Diese Kraft umlenken in unseren Geist und mit dieser Macht Gottes Wort auf Erden leben.“
    Wie eifrig das Mädchen nickte! Sogar ein Lächeln konnte er durch die Löcher des Gitters, das sie von ihm trennte, erahnen. Sie war willig. Bereit, Rat anzunehmen, Opfer zu bringen, sich weiterzuentwickeln. Arno drängte die spontan aufwallende Zuneigung zu ihr beiseite. Die würde ihr auch nicht helfen. Vor allem dann nicht, wenn sie im weiteren Verlauf bei ihm ...
    „Ich erlege dir folgende Buße auf“, sprach er mit feierlicherer Stimme. „Geh allabendlich nach Komplet in dich und sammle deine Empfindungen. Zwing dich nicht länger, die Gedanken an diesen Mann zu unterdrücken. Sie sind da, und sie sind an sich keine Sünde. Zur Sünde werden sie erst dann, wenn sie ungebremst und ungefiltert dein Fühlen und Handeln beeinflussen. Versuch stattdessen, die Liebe, die du für diesen Mann empfunden hast, von seiner Person abzuziehen. Sieh sie dir an und mach dir bewusst, dass auch das Gottes Liebe ist – wenn auch in einer geringeren Erscheinungsform, die sich lohnt zu überwinden – und dass Gott derjenige ist, dem sie gehört. Lass sie zunächst zu Jesus Christus fließen. Durch sein menschgewordenes Leben dürfte er für dich erreichbarer sein als Gott selbst. Beschließ das mit dem Rosenkranz, um deine Liebe darin zu festigen.“
    Genau das hatte er auch von Katharina verlangt – mit dem Unterschied, dass er bei ihr die Muttergottes in den Mittelpunkt gerückt hatte – Woche für Woche. Was sonst hätte er für sie tun können? Nachdem sie anfangs ebenso aufnahmebereit gewesen war wie Mathilda jetzt, war irgendwann nur noch Resignation bei ihr zu spüren gewesen. Und Trotz, welcher weitaus verheerender war. Und ihren Schmerz und ihre Verzweiflung nicht geringer machte.
    Elisabeth Jordan war da ganz anders. Viel mehr wie er selbst.
    Mathildas Vorteil den beiden Genannten gegenüber war, dass ihr Angebeteter unerreichbar und ihr aus den Augen war. Doch selbst das würde auf Dauer nichts an ihrem Bedürfnis nach dieser Art von Liebe ändern. Sie würde unglücklich werden – und somit eine schlechte Nonne. Und das konnte er nicht gutheißen – Mitgift hin oder her.
    Er seufzte unhörbar. Straffte dann die Schultern und rief sich zur Ordnung. Gott möge ihm vergeben, wie sehr er sich hier der arroganten Besserwisserei hingegeben hatte! Natürlich konnte er sich täuschen. Und natürlich musste er auch diesem jungen Mädchen die Fähigkeit zubilligen, Selbstaufgabe lernen zu können. Es war sehr, sehr schwer, derartige innerliche
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