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Und dann gabs keines mehr

Und dann gabs keines mehr

Titel: Und dann gabs keines mehr
Autoren: Agatha Christie
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immer noch – und aus diesem Grunde habe ich diese Vorg e hensweise gewählt: Ich schreibe mein Geständnis, stecke es in eine Flasche, verschließe sie und werfe sie in die Wellen. Me i ner Einschätzung nach stehen die Chancen eins zu einhundert, dass mein Geständnis gefunden wird – und dann (oder schmeichle ich mir?) wird ein bis dato ungelöster Mordfall seine Aufklärung finden.
    Neben meiner romantischen Fantasie sind mir auch noch andere Charakterzüge angeboren. Ich empfinde ein ausgespr o chen sadistisches Vergnügen, wenn ich beim Töten zuschauen oder den Tod herbeiführen kann. Ich erinnere mich an Exp e rimente mit Wespen – und mit verschiedenen anderen Garte n plagen … Von frühester Jugend an empfand ich eine sehr starke Lust am Töten.
    Hand in Hand damit ging jedoch ein entgegengesetzter Ch a rakterzug – ein starker Sinn für Gerechtigkeit. Es ist mir ein Gräuel, wenn ein unschuldiger Mensch oder eine Kreatur durch meine Hand leiden oder sterben muss. Mir war immer sehr daran gelegen, dass das Recht siegen sollte.
    Es ist daher verständlich – ich glaube, ein Psychologe würde es verstehen –, dass ich bei meinen Neigungen, so wie sie nun einmal waren, die Rechtsprechung zu meinem Beruf gemacht habe. Die Juristerei befriedigte fast alle meine Triebe.
    Das Verbrechen und seine Bestrafung hat mich immer schon fasziniert. Ich lese gern jede Art von Detektivgeschichte und jeden Kriminalroman. Zu meinem Privatvergnügen habe ich mir die genialsten Mordarten ausgedacht.
    Als ich im Laufe meiner Karriere den Vorsitz eines G e richts übernahm, wurde mein heimlicher Trieb ermutigt, sich weiterzuentwickeln. Zuzusehen, wie ein krimineller Schurke sich im Zeugenstand wand und die Qualen der Verdammten erlitt, wenn sein Untergang nach und nach langsam näher rückte, bereitete mir außerordentliches Vergnügen. Verstehen Sie mich richtig ich empfand kein Vergnügen, einen unschuld i gen Menschen dort zu sehen. Bei mindestens zwei Anlässen brach ich Verhandlungen ab, bei denen der Beschuldigte me i nes Erachtens nach unschuldig war, und ich unterrichtete die Geschworenen entsprechend.
    Dank der Fairness und der Professionalität unserer Pol i zeikräfte war jedoch die Mehrzahl der Angeklagten, die ich bei Mordprozessen vor mir hatte, schuldig .
    Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass dies auch auf den Fall Edward Seton zutraf. Sein Aussehen und Auftreten waren irreführend, und er machte einen guten Eindruck auf die Geschworenen. Aber nicht nur die Indizien, die klar, wenn auch unspektakulär waren, sondern meine eigene Kenntnis von Kriminellen sagte mir ohne jeden Zweifel, dass der Mann ta t sächlich das Verbrechen begangen hatte, dessen er beschuldigt wurde: den brutalen Mord an einer älteren Frau, die ihm vertraut hatte.
    Ich habe den Ruf eines Scharfrichters, aber das ist nicht fair. Ich bin in meinen Plädoyers immer streng gerecht und gewi s senhaft verfahren.
    Was ich getan habe, war nichts anderes, als die Geschwor e nen vor der Wirkung emotionsgeladener Appelle seitens uns e rer mit Emotionen arbeitenden Anwälte zu schützen. Ich habe die Aufmerksamkeit der Geschworenen nur auf die vorliege n den Beweise gelenkt.
    Im Laufe mehrerer Jahre hat sich in mir ein Wandel vollz o gen, ein Nachlassen der Kontrolle – ein Wunsch zu handeln anstatt zu richten.
    Ich habe – lassen Sie mich das offen zugeben – selbst einen Mord begehen wollen. Ich erkannte dies als den Wunsch des Künstlers, sich auszudrücken! Ich war selbst ein Künstler des Verbrechens oder könnte einer sein! Meine Fantasie, die so streng von den Notwendigkeiten meines Berufs in Schranken gehalten wurde, schwoll insgeheim zu kolossaler Kraft an.
    Ich musste – ja, ich musste einen Mord begehen! Und es sol l te kein gewöhnlicher Mord sein. Es sollte ein fantastisches Verbrechen sein – etwas Gewaltiges – ganz und gar Ung e wöhnliches ! In dieser einen Hinsicht habe ich, denke ich, i m mer noch die Fantasie eines Heranwachsenden.
    Ich wollte etwas Theatralisches, Unmögliches !
    Ich wollte töten … ja, ich wollte töten …
    Aber – so widersinnig das einigen vorkommen mag – ich war gebremst und behindert von meinem angebotenen Gerec h tigkeitssinn. Unschuldige durften nicht leiden.
    Und dann kam mir ganz plötzlich die Idee – ausgelöst durch eine zufällige Bemerkung während einer ganz normalen Unterhaltung. Ich sprach gerade mit einem Arzt – irgende i nem gewöhnlichen, nicht weiter bekannten
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