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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten
Autoren: Julian Barnes
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du damit anfängst. Du lügst, wenn’s darum geht, wie viele du rauchst – du unter- oder übertreibst. ›Also ich rauche vier Päckchen täglich‹, was so viel heißt wie: ›Also ich hab einen Riesenschwanz.‹ Oder dann: ›Also wir rauchen nur gelegentlich mal eine‹, was so viel heißt wie: mindestens drei täglich. Und dann lügst du, wenn du es aufgeben willst. Und dann lügst du dem Arzt gegenüber, wenn du Krebs hast: ›Wieso, ich hab doch nie viel geraucht?‹«
    »Bisschen verbiestert, würd ich sagen.«
    »Stimmt aber. Sue und ich haben einander betrogen.«
    »Da-vid!«
    »Ich spreche von Zigaretten, Liebling. Die ›Ich-hatte-nur eine-nach-dem-Mittagessen-Nummer.‹ Und: ›Nein, die anderenhaben geraucht. Drum riecht das so.‹ Das haben wir beide praktiziert.«
    »Dann müssen wir der Nichtraucherin die Stimme geben. Wählt Hillary.«
    »Zu spät. Außerdem lügen Raucher nur in Sachen Rauchen, glaube ich. Wie Trinker in Sachen Trinken.«
    »Stimmt nicht. Ich habe Trinker gekannt. Schwere Trinker lügen in jeder Hinsicht. Damit sie trinken können. Auch ich habe in anderer Hinsicht gelogen – damit ich rauchen konnte. So zum Beispiel: ›Ich geh mal kurz an die frische Luft‹ oder ›Nein, ich muss los, die Kinder brauchen mich.‹«
    »Will heißen: Raucher und Trinker sind ganz allgemein verlogen.«
    »Wählt Hillary.«
    »Will heißen: Alle Lügner lügen kategorisch.«
    »Das ist mir zu philosophisch zu dieser fortgeschrittenen Stunde.«
    »Außerdem lügen sie sich selbst in die Tasche, das kommt noch dazu. Jerry, ein Freund von uns, war ein großer Raucher, das war noch diese Generation. Als er in den Sechzigern war, ließ er einen Check-up machen, und da hieß es, er hat Prostatakrebs. Er entschied sich für einen radikalen Eingriff. Die haben ihm die Eier gekappt.«
    »Die Eier gekappt?«
    »Genau.«
    »Dann – hatte er nur noch seinen Schwanz?«
    »Nein, sie haben ihm künstliche Eier reingemacht.«
    »Und woraus sind die?«
    »Weiß nicht, Plastik, glaube ich. Sie sind gleich schwer, du merkst es also nicht.«
    »Du merkst es nicht?«
    »Sind die dann auch so frei beweglich wie die richtigen?«
    »Sindwir nicht etwas vom Thema abgekommen?«
    »Wisst ihr, wie Eier in der französischen Umgangssprache heißen? Valseuses . Walzertänzerinnen. Eben weil sie beweglich sind.«
    »Ist das nicht weiblich? Valseuses , meine ich.«
    »Doch.«
    »Warum sind Klöten auf Französisch weiblich?«
    »Wir sind eindeutig vom Thema abgekommen.«
    » Testicules ist nicht weiblich. Aber valseuses. «
    »Weibliche Klöten. Das bringen nur Franzosen.«
    »Kein Wunder, dass die gegen den Irak-Krieg waren.«
    »Na und. Alle an diesem Tisch ebenso.«
    »Ich war irgendwie so 60/40.«
    »Wie kannst du bei so etwas wie Irak 60/40 sein? Und bei der Theorie, die Erde sei eine Scheibe, bist du da auch 60/40?«
    »Genau. Da bin ich auch 60/40.«
    »Wie auch immer, ich habe von Jerry gesprochen, weil er gesagt hat, er sei erleichtert, dass es die Prostata sei. Er hat gesagt: ›Wäre es Lungenkrebs gewesen, hätte ich aufhören müssen zu rauchen.‹«
    »Der hat also weitergeraucht?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ein paar Jahre war er okay. Mehrere Jahre. Dann kam der Krebs wieder.«
    »Hat er dann aufgehört?«
    »Nein. Er hat gesagt, in diesem Stadium habe das keinen Sinn mehr. Er möchte es lieber noch genießen. Ich weiß noch, wie wir ihn das letzte Mal im Krankenhaus besucht haben. Da saß er im Bett, sah sich das Cricket-Match an, und vor ihm ein Riesenaschenbecher voller Kippen.«
    »Die haben ihn im Krankenhaus rauchen lassen?«
    »Erhatte ein Einzelzimmer. Es war eine Privatklinik. Und es ist ein paar Jahre her. Er hatte bezahlt, das war sein Zimmer. So sah er das.«
    »Und warum erzählst du uns von diesem Mann?«
    »Weiß ich auch nicht mehr, wegen euch hab ich den Faden verloren.«
    »Sich in die Tasche lügen.«
    »Stimmt. Sich in die Tasche lügen.«
    »Also für mich hört sich das nach dem genauen Gegenteil an: Der hat doch ganz genau gewusst, was er gemacht hat. Vielleicht fand er einfach, das sei ihm die Sache wert.«
    »Genau das meine ich mit ›sich in die Tasche lügen‹.«
    »Dann musst du Raucher gewesen sein, damit du mal Präsident werden kannst.«
    »Ich glaube, Obama schafft das. Ich als Amerikaner vom Dienst.«
    »Ich auch. Na ja, sagen wir 60/40.«
    »Du bist ein Liberaler, deshalb bist du bei allem 60/40.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher.«
    »Siehste, er ist 60/40 sogar in der Frage,
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