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Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Titel: Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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meinte sie lächelnd. »Aber wenn Sie mir diesen Gefallen wirklich tun könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
    Draußen erklang wieder ein Donnern, auf das eine gespenstische Stille folgte. Voynich stellte sich vor, wie weitere Geschosse feurige Spuren über den Himmel zogen, um dann krachend auf die Häuser von Kilmore Cove niederzugehen.
    »Miss Evans, ich werde alles tun, was Sie wollen. Aber wir müssen uns beeilen.«
    »Dann folgen Sie mir. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie in mein Schlafzimmer bitte.«
    Die Lehrerin wies Voynich an, die Kerze auf einem Schreibpult in einer Ecke des Zimmers abzustellen. Dann bat sie ihn, den Schrank zu öffnen und nach einem Schuhkarton zu suchen.
    »Aber … pardon, aber …«, stammelte Voynich perplex. »Was denn für einen …?«
    »Jeder ist so gut wie der andere. Hauptsache, es sind keine Schuhe darin.«
    Voynich wählte einen Karton, der nach Majoran duftete. Er öffnete ihn und hielt ihn unter die Kerze, um nachzusehen, ob er leer war. Dann brachte er ihn der Lehrerin, die inzwischen am Schreibpult saß und mit einer langen Feder auf einem Blatt Papier mit Briefkopf schrieb. Ohne das Schreiben zu unterbrechen, zeigte die alte Dame auf eine Schublade, die Klebeband und braunes Packpapier enthielt.
    »Stopfen Sie den Karton mit alten Zeitungen aus. Und legen Sie bitte auch etwas Schweres hinein. Päckchen, die zu leicht sind, gehen gewöhnlich verloren.«
    »Miss Evans?«
    »Bitte, tun Sie es«, sagte sie mit der Autorität einer erfahrenen Lehrerin.
    Voynich gehorchte widerspruchslos.
    Einige Minuten später war das Päckchen fertig. Stella Evans faltete ihren Brief zusammen, steckte ihn in den Karton und bat Voynich, ihn gut zuzukleben.
    »Das war’s«, sagte sie zufrieden. »Jetzt brauchen wir noch die richtige Adresse. Wären Sie so freundlich, sie von hier abzuschreiben?«
    Sie zeigte auf eine zusammengefaltete Zeitung, die auf dem Nachttisch lag und L’Echo des Fantaisies hieß.
    »Was soll ich abschreiben?«
    »Lesen Sie das Impressum.«
    »›Die offizielle Zeitung der erträumten Orte‹«, las Voynich vor.
    »Das, was gleich danach kommt.«
    Ein weiterer Kanonenschlag ließ das Haus erzittern. Ein Spiegel fiel krachend von der Wand und Scherben flogen durch den Raum.
    Die Kerze erlosch, und die alte Dame brauchte eine Weile, um sie wieder anzuzünden.
    »Die Adresse, Mister Voynich, seien Sie so nett!«
    Marius Voynich suchte und fand die Anschrift der Redaktion. Genervt übertrug er sie auf das Päckchen. »Fertig!«, knurrte er. Allmählich zweifelte er an der geistigen Gesundheit seiner Gastgeberin. »Und jetzt?«
    »Jetzt geben Sie auf das Päckchen bitte gut acht«, sagte Stella Evans, während sie es ihm überreichte. »Gehen Sie zur Post und werfen Sie es so bald wie möglich in der rechten Box ein, egal, was passiert.«
    »Miss Evans, die Post …«
    »Ach, machen Sie sich nur keine Sorgen. Die rechte Box funktioniert selbst dann, wenn hier Krieg herrscht. Sie können sicher sein, dass mein Päckchen zugestellt wird. Vertrauen Sie mir! Sie müssen nur zur Post gehen und es so einwerfen, wie ich gerade gesagt habe. Und zwar noch in dieser Nacht.«
    Verwirrt schüttelte Voynich den Kopf. »Darf ich wenigstens fragen, warum?«
    »Ich habe Ihnen eine Bitte um Entlassung und Hilfe anvertraut, Mister Voynich«, antwortete die alte Dame. »Es würde zu lange dauern, das jetzt zu erklären, aber … Ich habe Gründe, darauf zu vertrauen, dass Kilmore Cove sicher sein wird, sobald dieses Päckchen seinen Bestimmungsort erreicht hat.«
    »Entlassung und Hilfe …?«
    »Welche Vorstellungen Sie auch immer haben mögen … Die erträumten Orte sind viel gefährlicher als die wirklichen. Hier findet gerade ein Angriff statt, und wenn mich nicht alles täuscht, sind das Kanonenschüsse …«
    »Ja, das stimmt«, bestätigte Voynich.
    »Eben.« Die Lehrerin schüttelte energisch den Kopf. »Ich glaube, vor ein paar Jahren allzu impulsiv gehandelt zu haben. Ich hätte den Antrag auf Entlassung stellen sollen, als noch Zeit dafür war. Aber dann sind diese beiden Kinder gekommen …«
    »Die Covenant-Zwillinge?«
    Stella Evans nickte. »Ja, genau die. Ich dachte, wir könnten noch ein bisschen länger standhalten …« Sie winkte ab. »Aber das hat jetzt keine Bedeutung mehr. Wie sagt man so schön? Es lohnt sich nicht, über verschüttete Milch zu weinen.«
    Die alte Dame ergriff Voynichs Handgelenke. Ihre Finger waren zart und zerbrechlich. »Schicken Sie das
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